Von unserer Mitarbeiterin Anja Bochtler
Am liebsten wäre Soko Aoki dabei gewesen. Damals vor 30 Jahren, als in Wyhl der Widerstand gegen Atomkraft begann. Allerdings wurde sie erst drei Jahre später geboren - und weit weg von Wyhl. Soko Aoki, mittlerweile 27 Jahre alt, ist Japanerin. Die deutsche Anti-AKW-Bewegung hat sie so fasziniert, dass sie jetzt darüber forscht. Dafür ist die Soziologin aus Sendai zurzeit auch in Freiburg unterwegs.
Wenn sie zurückdenkt, fing alles mit Tschernobyl an. 1986 saß Soko Aoki vor dem Fernseher und hatte Angst: Überall liefen Berichte über den Reaktorunfall. Soko Aoki war acht Jahre alt. Dass die Menschen um sie herum plötzlich beunruhigt waren, spürte sie genau. Damals wuchs bei ihr dieses Gefühl, das sie bis heute prägt: "Es ist wichtig, dass Menschen gegen ihre Lebensbedingungen protestieren." Später am Gymnasium las sie viel über Ökologie. Nahm an einem Kurs über Umweltschutz in Deutschland teil. Und an der Uni wählte sie Deutsch als zweite Fremdsprache - nicht Französisch oder Chinesisch, wie die meisten anderen. Dann kam sie zum ersten Mal nach Deutschland: 1998 zum Sprachkurs in Bayreuth.
Dass Soko Aoki die Sprache längst fließend spricht, ist wichtig für das, was sie jetzt macht. Vor zwei Jahren hat sie mit ihrer Doktorarbeit begonnen, für die sie zurzeit durch deutsche Städte reist. Nach Gorleben und Hamburg ist im Moment Freiburg dran - rechtzeitig zu den Veranstaltungen in Weisweil und Wyhl, die am Wochenende an 30 Jahre erfolgreichen AKW-Widerstand erinnern. Doch nicht nur deshalb ist Soko Aokis Terminplan voll: Ein Gespräch nach dem anderen hakt sie auf ihrer Liste ab, befragt lauter Menschen, die sich damals oder heute in der Anti-AKW-Bewegung engagiert haben oder engagieren. Erforscht die Biografien von Axel Mayer vom BUND, Georg Loeser vom Verein Ecotrinova, dem einstigen Protestsänger Walter Mossmann und vielen anderen. Denn das ist es, was die Soziologin interessiert: Warum werden manche aktiv und andere nicht? Soko Aoki hat sich diese Frage oft gestellt. Weil sie nicht versteht, warum in Japan die meisten Menschen die Gefahren durch AKWs ignorieren - trotz der Unfälle in Atomkraftwerken und häufiger Erdbeben.
Auch in Deutschland sei das Engagement kleiner geworden. Und doch: "In Gorleben ist die Bewegung immer noch stark." Eine Erklärung für die Unterschiede in den beiden Ländern hat sie bereits gefunden: In Japan würden sich die Menschen am liebsten das bewahren, was sie haben. Die Deutschen dagegen hätten stärker das Gefühl, sich später gegenüber ihren Kindern rechtfertigen zu müssen. Und das, glaubt Soko Aoki, hängt mit der deutschen Geschichte zusammen - mit dem Nationalsozialismus und den Vorwürfen der nachfolgenden Generationen.
30 Jahre Widerstand: Infos zu den Veranstaltungen am Wochenende: www.badisch-elsaessische.net.
Quelle: Badische Zeitung vom Donnerstag, 24. Februar 2005