Das Judentum ist eine Religion der Erinnerung. Schon immer gewesen. Nicht erst seit jener Zeit, als die Deutschen ihr Land und die Freiburger ihre Stadt "judenfrei" machten. Und diese Erinnerung ist nie eine rückwärts gewandte gewesen. Vielmehr gilt sie als "Kraft der Erlösung", als "das Gegenteil von Gleichgültigkeit", als "soziale Verpflichtung, die Gemeinschaft stiftet". All das erleben Schülerinnen und Schüler der Lessing-Realschule ganz praktisch, seit sie Kindern der Freiburger "Judenschule" ihre Namen wiedergegeben, sie dem Vergessen entrissen und sogar zur Rückkehr in die alte Heimat bewegt haben. Das ist in einer geschichtslosen Zeit wie heute, da aus Wohlstand und Gleichgültigkeit geborene Nazis ihre Fratzen wieder offen zur Schau tragen, gar nicht genug zu loben. Zumal da die Jugendlichen diese Erinnerungsarbeit stellvertretend für ein Gemeinwesen leisten, das nur zu leicht der Versuchung erliegt, Menschen auszugrenzen und zu entwürdigen. So wird Erinnerung an früher zu einer Erinnerung für heute. Dass die Stadt Freiburg mit anderen zusammen nun die "Zwangsschule für jüdische Kinder" in den Mittelpunkt des Gedenkens an die Befreiung des KZ Auschwitz stellte, ist ihr deshalb hoch anzurechnen. Doch Erinnerung ist mehr als eine Gedenktag-Zerknirschung. Erinnerung ist eine jeder Zeit gemäße Kultur, die lebendig macht - nicht nur im Judentum.
Gerhard M. Kirk
Quelle: Badische Zeitung vom Samstag, 29. Januar 2005