Momentan sieht sich die außerparlamentarische Linke in Baden-Württemberg, insbesondere die Antifa, mit einer heftigen Repressionswelle konfrontiert. Diese umfasst sowohl die Einschränkung des Versammlungsrechts für Linke, das polizeiliche Vorgehen gegen Einzelpersonen, politische Gruppen und mittlerweile sogar Geschäftsleute. Sie sei anhand einiger Beispiel im Folgenden geschildert.
Einschränkungen beim Versammlungsrecht
In einigen Städten, so auch in Stuttgart, ist es durchaus üblich, bei Demonstrationen aus dem linken Spektrum, Musik aus dem Lautsprecherwagen zu untersagen. Das war z.B. der Fall bei Solidaritätsdemonstrationen gegen das damals noch nicht geräumte selbstverwaltete Jugendhaus Degerloch (OBW9), wie auch bei der revolutionären 1. Mai-Demonstration vor zwei Jahren.
Wie ihr sicher wisst, ist es inzwischen völlig normal, dass linke Demonstrationen von begleitenden Polizisten von vorne bis hinten abgefilmt werden, dass also jeder Teilnehmer sein Gesicht den Bullen und Verfassungsschutz überlassen muss.
14.04.2006: Aus Solidarität mit dem geräumten soziokulturellen Zentrum und Wohnprojekt Ex-Steffi in Karlsruhe sollte in der Karlsruher Südstadt ein Punkkonzert stattfinden. Nach Drohungen der Polizei wurde statt dessen eine Kundgebung unter dem Motto „Gegen Repression und Tanzverbot“ angemeldet. Diese wurde verboten. Zusätzlich erhielt der Anmelder der Demonstration Innenstadtverbot für die gesamte Karlsruher Innenstadt bis zum nächsten Tag.
Potentielle Teilnehmer an antifaschistischen Demonstrationen müssen gewöhnlich umfangreiche Vorkontrollen über sich ergehen lassen. Diese umfassen nicht nur Durchsungen der Fahrzeuge, sondern immer häufiger auch einzelnes Abfotografieren, so geschehen am 01.05.2006 gegen Antifaschisten, die gegen den stattfindenden Naziaufmarsch in Heppenheim (Hessen, nahe Baden-Württemberg) demonstrieren wollten. Ferner erhielten die Betroffenen gleich provisorisch einen Platzverweis für die Stadt.
Der Linken soll durch dieses Vorgehen offenbar gezeigt werden, dass sie überwacht wird. Insbesondere junge und jugendliche Menschen lassen sich dadurch einschüchtern.
Vorgehen gegen linke Gruppen und Infrastruktur
Sommer 2005: Das letzte selbstverwaltete und zu diesem Zeitpunkt bereits besetzte Jugendhaus in Stuttgart, das Jugendhaus Degerloch (OBW 9), wird von der Polizei geräumt. Die Stadt beabsichtigt, an der Stelle ein städtisches Jugendhaus zu bauen. Der Stuttgarter Linken wird damit ein wichtiger Teil ihrer Infrastruktur genommen.
29.07.2005: Eine Veranstaltung der Karlsruher Antifa (ag[z.o.r.a.]) im JuZ Specht in Ettlingen bei Karlsruhe, wird nach einer Droh-E-Mail von Nazis abgesagt, aber erst nachdem Stadt und Staatsschutz Druck auf die Leitung des Jugendzentrums ausübten. Inzwischen wollen Stadt und die Verantwortlichen des Jugendzentrums keine antifaschistischen Veranstaltungen mehr im JuZ Specht zulassen. Das JuZ ist zwischenzeitlich mit Hakenkreuzen und Naziparolen beschmiert worden. Auch hier zeigt sich, dass antifaschistische Arbeit massiv von den politisch Verantwortlichen bedrängt wird und ins Abseits manövriert werden soll. Dass das Verhalten von Polizei und Staatsschutz den Nazis nutzt, ist so selbstverständlich, dass es eigentlich gar keiner weiteren Erklärung mehr bedarf. Die Nazis jedenfalls haben ihr Ziel erreicht.
16.02.2006: Die Kripo Schwäbisch Hall veranlasst die Sperrung und Beschlagnahmung aller Daten der World Wide Web-Präsenz des Antifaschistischen Widerstandes Schwäbisch Hall (www.rotes-hall.de.vu). Dies geschieht ausgerechnet vor dem Wochenende, an dem die NPD um ihren Kandidaten Lars Käppler eine Wahlkampftour durch Schwäbisch Hall, Crailsheim und Künzelsau geplant hat. Die antifaschistische Gegenmobilisierung sollte durch dieses Vorgehen offensichtlich unterbunden werden. Der Internetauftritt der Antifa Schwäbisch Hall ist zentraler Teil der Infrastruktur für die lokale antifaschistische Mobilisierung.
Bei einem Antifa-Info-Stand in Schorndorf bei Stuttgart beschlagnahmt die Polizei Flugblätter, Anstecker und Informationsmaterial mit durchgestrichenen Hakenkreuzen. Durch ein solches Vorgehen soll offensichtlich jegliches antifaschistische Auftreten in der Öffentlichkeit unterbunden werden. Mittlerweile hat das Landgericht Stuttgart die Beschwerde der Antifa (VVN-BdA) gegen die Konfiszierung für „zulässig und begründet“ erklärt.
Die World Wide Web-Seite des Infoladen Ludwigsburg war wegen Repression seit Januar drei Monate lang nicht in Netz. Der Internetauftritt des Infoladen Ludwigsburg ist ein wichtiger Bestandteil der Infrastruktur für die lokale linke Szene im Stuttgarter Raum. Er dient der linken Szene zur Verbreitung von Informationen, Mobilisierung sowie als Diskussionsforum.
06.04.2006: Das soziokulturelle Zentrum Ex-Steffi in Karlsruhe wird um 6 Uhr morgens geräumt: 15 Festnahmen. Die Karlsruher Linke hat ihr Zentrum verloren.
Vorgehen gegen Einzelpersonen
Das Berufsverbotverfahren gegen den Antifaschisten und Realschullehrer Michael Czaszkóczy wird offiziell, als das Land Baden Württemberg ihm 2004 die Einstellung in den Schuldienst verweigerte. Ein Jahr später zieht Hessen nach: Er kann eine ihm bereits zugesagte Stelle nicht antreten. Czaszcóczy wurde vor Bekanntwerden des Berufsverbotsverfahrens bereits 12 Jahre lang vom Verfassungsschutz überwacht. Am 13.03.2006 bestätigt das Verwaltungsgericht das Berufsverbot gegen ihn. Einer Person soll hier als Strafe für sein linkspolitisches Engagement die berufliche Existenz zerstört werden. Er soll den Beruf, den er gelernt hat und für den er qualifiziert ist, nicht ausüben.
Ein Tübinger Student wurde letztes Jahr wegen „Vewendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt“. Er hatte einen Anstecker mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz getragen. Das Landgericht Tübingen sprach ihn in nächster Instanz frei. Trotz dieses Urteils ist kein Einlenken der Stuttgarter Staatsanwaltschaft zu verzeichnen, die rigoros gegen Träger und Verkäufer antifaschistischer Symbole vorgeht. Dabei hat schon ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1973 festgestellt, dass die Abbildung von Hakenkreuzen nicht strafbar ist, wenn diese eindeutig eine Gegnerschaft zum NS ausdrückt. Antifaschisten sollen durch dieses Vorgehen in die Defensive gedrängt werden. Wenn die Staatsanwaltschaft gegen das Tragen linker und antifaschistischer Symbole vorgeht, so arbeitet sie ganz direkt den Nazis zu.
26.01.2006: In Stuttgart werden nach einer Spontandemonstration mehrere Personen verhaftet, die sich gegen die Anmelderin der zwei Tage später in Stuttgart stattfinden sollenden Nazidemonstration richtet. Ihnen wird Landfriedensbruch vorgeworfen. Elf von ihnen bleiben in Haft bis der Naziaufmarsch vorüber ist. Die erste Nacht verbringen sie bei Kälte ohne Matratzen und Decken, z.T. ohne Wasser. Einigen werden Telefonanrufe vorenthalten. Später erhalten sie Bescheide von bis zu 3000€, die sie für die Unterbringung bezahlen sollen.
28.01.2006: Mindestens elf Antifaschisten werden bei dem verhinderten Naziaufmarsch in Stuttgart verhaftet. Eine Person wird nach der Festnahme schwer verletzt.
09.03.2006: In Ettlingen bei Karlsruhe findet ein Prozess gegen zwei Antifaschisten statt. Ihnen wurde vorgeworfen ein Naziauto beschädigt zu haben. Sie werden freigesprochen.
25.03.2006: In Karlsruhe wird das Conradin Kreuzer Haus in der Wilhelmstraße 14 besetzt, ein 1862 erbautes Haus, das gegen den Willen der Anwohnern abgerissen werden soll. Außerdem wollen die Besetzer ihre Solidarität mit dem von der Räumung bedrohten soziokulturellem Zentrum Ex-Steffi bekunden. Die Anwohner zeigen riesige Solidarität: Ansässige Gastronomen versorgen die Besetzer mit Verpflegung, Geschäftsleute bringen Pullover etc.. Die Besetzung entwickelt sich zu einem Straßenfest, das von der Polizei brutal geräumt wird.
Die Polizei verletzt dabei mehrere Personen massiv. So wird auf Sitzende eingeprügelt. Alle Teilnehmer, ca. 50 an der Zahl, werden mit den Vorwürfen Landfriedensbruch, schwerer Landfriedensbruch sowie Widerstand festgenommen. Eine Person wird bei der Festnahme gar mit Mordvorwurf konfrontiert. Er soll gezielt eine Leuchtstoffrakete auf die Polizisten geschossen haben. Eine Person will Anzeige gegen die Bullen erstatten und erkundigt sich nach der Dienstnummer. Daraufhin wird er zu Boden geschlagen, getreten und es werden ihm Nase und Mund zugehalten. Ferner wird ihm und anderen angedroht, später im Knast die Treppe runterzufallen, falls er Anzeige erstatten will. Ein solches Vorgehen dient der Einschüchterung von Demonstranten, was insbesondere bei jungen Demonstranten auf Erfolg stößt. So trauen sich z.B. in Freiburg Leute, die nach einer Schattenparker-Demonstration verhaftet wurden, nicht mehr auf Demonstrationen.
Erstes April-Wochenende 2006: Der Betreiber der World Wide Web-Seite www.juze-welzheim.de wird aufgefordert, das Foto eines Wahlplakates der Grünen, auf dem ein Hakenkreuz, das in den Mülleimer geworfen wird, abgebildet ist, von der Seite zu nehmen. Anderenfalls drohe ihm eine Anzeige nach Paragraf 86 StGB, der das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole verbietet.
Erstes April-Wochenende 2006: Stuttgarter Polizisten machen Jagd auf Antifaschisten: Eine Personengruppe, die offensichtlich der antifaschistischen bzw. linken Szene zuzuordnen ist, wird gezielt nach Ansteckern mit antifaschistischen Symbolen in Form von durchgestrichenen oder zerschlagenen Hakenkreuzen durchsucht. Bekennende antifaschistische Jugendliche sollen offensichtlich aus dem Stadtbild gedrängt werden.
13.04.2006: Staatschutzbullen der Kriminalpolizei Rastatt durchsuchen eine Wohnung in Gaggenau unter dem Vorwand der „Billigung von Straftaten“. Dem Betroffenen wird vorgeworfen, sich auf der World Wide Web-Seite des Infoladen Ludwigsburg, positiv auf die Beschädigung von Naziautos geäußert zu haben. Es muss mit weiteren diesbezüglichen Anzeigen gerechnet werden.
Vorgehen gegen linke Geschäftsleute
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft geht nicht nur gegen Träger antifaschistischer Symbole vor, mittlerweile sogar auch gegen linke Geschäftsleute. Nachdem es bereits vor drei Jahren eine erste Hausdurchsuchung bei Nix Gut Records (Plattenfirma und Versandhandel) in Winnenden bei Stuttgart gab, wo eine Vielzahl Produkte mit antifaschistischen Symbolen vertrieben wird, findet am 23.08.2005 eine erneute Razzia in den Räumlichkeiten des Unternehmens statt. Die Staatsanwaltschaft nimmt Daten und Adressen aus den Computern mit und verschafft sich so Informationen über Linke. Außerdem kassiert sie sämtliche antifaschistischen Artikel ein, auf denen durchgestrichene, zerschlagene etc. Hakenkreuze zu sehen sind: 30000 Flugzettel, 10000 Kataloge und 10000 weitere Artikel. Der Betrieb wird dadurch an den Rand des finanziellen Ruins gebracht. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft sagt: sie wolle jedwede „Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen aus dem öffentlichen Erscheinungsbild [..] verbannen“. Damit solle „der Anschein“ vermieden werden, das Hakenkreuz sei wieder „alltagstauglich“. Am 28.03.2006 schließlich erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. Das Ziel sei es „Rechtssicherheit zu erlangen“. Dabei hat der BGH bereits 1973 entschieden, dass die Verwendung nationalsozialistischer Symbole nicht strafbar ist, wenn sie eindeutig Gegnerschaft zum NS ausdrückt.
Das Landgericht Stuttgart hat mittlerweile die Position des Winnender Versandhandels gestärkt: Ein „hinreichender Tatverdacht“ sei „nicht zu erkennen“. Bis auf zwei hat das Landgericht sämtliche Anklagepunkte abgeschmettert. Die betreffenden Produkte seien „nicht strafwürdig“, weil der „unbefangene Betrachter in der Art der Darstellung eindeutig eine Ablehnung der Ideologie des Nationalsozialismus erkennen kann“. Daher sei eine Gerichtsverhandlung nicht nötig. Über die zwei Ausnahmen, u.a. eine Schallplatte der antifaschistischen Punkband Schleimkeim, die ein Bild Adolf Hitlers mit Hakenkreuzbinde zeigt, das mit „Drecksau“ untertitelt ist, solle das Amtsgericht Waiblingen entscheiden.
Die Entscheidung des Landgerichtes ist eine Demütigung für die Staatsanwaltschaft, diese hatte wegen der „grundsätzlichen Bedeutung“ des Falles extra nicht beim zuständigen Amts- sondern beim höheren Landgericht geklagt. Die Staatsanwaltschaft jedoch legt „sofortige Beschwerde“ ein. D.h. der Fall landet jetzt sogar vor dem Oberlandesgericht, das über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft verhandeln muss.
Wie diese umfangreichen Beispiele also gezeigt haben, verfolgen Bullen und Staatsanwaltschaft in Baden-Württemberg gerade eine groß angelegte Zerschlagungsstrategie der außerparlamentarischen, insbesondere der antifaschistischen Linken. Auf allen Ebenen werden die Freiräume für linkspolitische Betätigung eingeengt. Das betrifft das Versammlungsrecht genauso wie auch Repression gegen Einzelpersonen und politische Gruppen. Die Räumung linker Zentren trifft die Infrastruktur der Linken in den verschiedenen Städten massiv. Bullen und Staatsschutz versuchen außerdem, der Linken bestehende Freiräume in städtischen Jugendhäusern zu nehmen, indem sie ganz offen Druck auf Jugendhausleitungen ausüben. Gegen Betreiber von linken Seiten im World Wide Web werden ständig Anzeigen gestellt, so auch in Freiburg gegen den der Antifa. Dass das Vorgehen gegen die (antifaschistische) Linke den Nazis in die Hände spielt, liegt auf der Hand. Wir können festhalten: Es wird alles immer schlimmer.
Was können wir dagegen tun?
Die Linke in Baden-Württemberg geht in die Offensive. So mobilisiert das Antifaschistische Aktionsbündnis Baden Württemberg (AABW) am 15. Juli 2006 nach Stuttgart zur landesweiten Antirepressionsdemo. Aus Freiburg organisiert die Antifa einen Bus. Wir laden euch ein, mit uns zu fahren. Die Tickets kosten 10€. Sie sind im Infoladen in der KTS sowie im jos fritz Buchladen erhältlich.
Antifa Freiburg