Zehn Jahre hatte die fünfköpfige Familie Jashari bereits in Deutschland gelebt, als sie mitten in der Nacht von der Polizei in ihrer Kusterdinger Wohnung abgeholt wurde. Beide Elternteile hatten Arbeit und das Tübinger Landratsamt hatte Ihnen eine dreimonatige Duldung erteilt. Das jüngste der drei Kinder, die alle drei in Deutschland geboren sind, war gerade einmal zehn Monate, das älteste 9 Jahre. Trotzdem wurden sie kurz vor Weihnachten 2002 in das Krisengebiet Kosovo abgeschoben. Kürzlich besuchte sie in Pristina ein Fernsehteam und musste feststellen, dass die Familie es auch nach vier Jahren noch nicht geschafft hat; beide Elternteile sind arbeitslos.
Am 8. November 2005 versuchte die Reutlinger Bezirksstelle für Asyl, Koffi Cyrille Adamah unter Zwang nach Togo abzuschieben. Er saß schon im Flugzeug, als eine Eilentscheidung des Sigmaringer Verwaltungsgerichts die Abschiebung stoppte. Adamah hatte zuvor eine Zusage erhalten, dass er vorerst nicht abgeschoben werden sollte. „Ein Versehen“, hieß es später im Regierungspräsidium. Der entsprechende Aktenvermerk sei schlicht „übersehen“ worden.
Hier geblieben! Keine Abschiebung der Familie Bucolli aus dem Kosovo, von Koffi Cyrille Adamah aus Togo, der Familie Tran aus Vietnam und anderen!!!
Für nicht wenige der Ursachen einer Flucht nach Deutschland ist die europäische Politik mitverantwortlich: Sei es durch koloniale Grenzziehung, wirtschaftliche Ausbeutung, oder indirekte bzw. gar direkte militärische Intervention.
Das internationale antirassistische Netzwerk „UNITED“, zu dem auch Organisationen wie „Kein Mensch ist Illegal“, oder „Pro Asyl“ gehören, dokumentierte allein seit Beginn 1993 über 6.400 Tote, die die Festung Europa bis heute gefordert hat: Flüchtlinge, die auf See ertranken, die aus Angst vor einer Zwangsabschiebung Selbstmord begingen, oder Flüchtlinge, die schon am Flughafen von den Schergen erwartet und abgeholt wurden, vor denen sie nach Europa flohen.
Viele Asylbewerber werden in Deutschland einfach weggesperrt: In Lagern und Knästen mit niedrigsten hygienischen Standards, auf engstem Raum mit ihnen unbekannten Menschen zusammengepfercht.
Kinder und ihre Eltern werden nachts geholt, in ein Flugzeug gesetzt und in ein ihnen fremdes oder fremd gewordenes Land deportiert. Als ihre Heimat würden sie die Bundesrepublik bezeichnen. Aber Bürokraten sehen das anders.
Jenseits einer kalten Kosten-Nutzen-Logik muss es im Namen der Menschlichkeit möglich sein, Menschen auf der Flucht ein sicheres Asyl zu geben — sei es vor Hunger, Armut, Folter oder Mord!
In Deutschland leben etwa 250.000 Menschen — fast die Hälfte davon seit mindestens zehn Jahren — mit einer sogenannten Duldung. D.h. sie haben keine Aufenthaltserlaubnis und das Abschiebeverfahren ist nur ausgesetzt. Zwang und massive Einschränkungen sind für sie Alltag. So verfügen sie nur über eine minimierte Sozialhilfe, dürfen das entsprechende Bundesland nicht verlassen und erhalten nur eine eingeschränkte medizinische Versorgung. Eine Arbeitserlaubnis wird nur dann erteilt, wenn „für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, nicht zur Verfügung stehen“(§ 39 Aufenthaltsgesetz, Absatz 1 (2b)).
Noch schlechter sieht es für hunderttausende MigrantInnen aus, die nicht einmal über eine Duldung verfügen und in der Illegalität leben müssen: Grundlegende Menschenrechte, wie das Recht auf Bildung und das Recht auf medizinische Versorgung bleiben ihnen gänzlich verwehrt.
Im November diesen Jahres tagt in Nürnberg die Bundesinnenministerkonferenz. Dort könnte mit einer Bleiberechtsregelung, die zumindest langjährig Geduldeten ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt, ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung gemacht werden. In Erwartung einer solchen Regelung erließ der Berliner Innensenator ein Abschiebestopp bis Ende 2006 für das Land Berlin. Ähnlich hat die Stadt Potsdam entschieden — entgegen dem Beschluss des Brandenburgischen Innenministeriums.
Anlässlich des Tags des Flüchtlings fordern wir...
...von der Bundesinnenministerkonferenz:
- Die Verabschiedung einer Bleiberechtsregelung, die langjährig Geduldeten ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt
- Die Ermöglichung eines Zugangs zu freier Bildung und medizinischer Versorgung für illegalisierte MigrantInnen
...von der Stadt Tübingen:
- Die Verhängung eines sofortigen Abschiebestopps nach Potsdamer Vorbild bis mindestens Ende 2006 — unabhängig von der Haltung der Baden-Württembergischen Landesbehörden