INHALT
- Einleitung
- Eigenutz vor Gemeinnutz
- Der FC Bayern in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus: Ein ideales Feindbild
- Die Ressentiments leben auch in der Gegenwart fort
- „FC Hollywood“
- Bayern-Fans: Unfähig zu „wahren“ Gefühlen?
- Vom Umgang des Klubs mit seiner Geschichte
- MP3
EINLEITUNG
Wenn es um den FC Bayern München geht, scheiden sich die Geister wie bei keinem anderen deutschen Fußballverein. Wer den Klub nicht verehrt, hasst ihn aufrichtig; wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Eine Meinung dazu haben in der Regel auch diejenigen, die sich sonst nicht unbedingt für Fußball interessieren.
Sicher, Bayern München ist hierzulande der Fußballverein mit den meisten Mitgliedern, Anhängern und Fanklubs. Inwieweit seine Erfolge von seinen Sympathisanten sozusagen kompensatorisch herangezogen werden, um sich das eigene trostlose Leben dadurch ein bisschen zu versüßen, dass man sich selbst als Teil einer Truppe von Siegern fühlt, soll heute Abend jedoch nicht das Thema sein — genauso wenig wie die Frage, ob Glanz & Glamour des Münchner Klubs nicht einfach bloß einen ähnlich projektiven Reiz ausüben wie Pop- und Filmstars oder das britische Königshaus. Vielmehr soll an dieser Stelle von denen die Rede sein, die den FC Bayern abgrundtief hassen und darin antiliberale, deutsche Ressentiments von der Leine lassen — öfter, stärker und widerwärtiger als gegen jeden anderen deutschen Fußballklub.
Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, das sei doch alles gar nicht so wichtig; schließlich gehe es doch bloß um Fußball. Andere mögen lapidar feststellen, dass der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Besonderen doch ohnehin nicht gerade als Wiege des Fortschritts gelten, und sich kritisch dünkende Geister geben vielleicht zu bedenken, dass der Fußball doch nur reproduziere, was an der Gesellschaft ohnehin zu kritisieren sei, dass die Zuneigung zu einem Verein — und damit auch die Ablehnung anderer Klubs — eine Projektion in Reinform darstelle etc. pp. Mag alles sein, aber diese Ansichten vermögen die Relevanz des zu verhandelnden Gegenstandes nicht zu schmälern. Schließlich werden Ressentiments nicht dadurch besser oder auch nur weniger ekelhaft, dass sie sich im Fußball Aufmerksamkeit verschaffen.
EIGENNUTZ VOR GEMEINNUTZ
Dem FC Bayern — erfolgreichster deutscher Fußballklub und in dieser Hinsicht ohne Zweifel das Maß aller Dinge — wird von Fans wie Vertretern anderer Vereine regelmäßig vorgeworfen, unsolidarisch, ja egoistisch zu handeln und sich nicht um die Belange des ganzen deutschen Fußballs zu sorgen, gehe es nun um die Verteilung der Fernsehgelder, die Beschränkung der Zahl ausländischer Spieler oder andere Absprachen zum vermeintlichen Wohle angeblich aller. Und in der Tat verfährt der Klub in aller Regel gerade nicht nach dem so beliebten Motto „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, sondern verfolgt seine eigenen Absichten und Ziele offen und unverblümt — und macht auch gar keinen Hehl daraus. Das stößt in einem Land, in dem man die Dinge um ihrer selbst — und also um des großen Ganzen — willen zu tun hat und in dem interessengeleitetes Handeln — noch dazu für Geld! — unter Generalverdacht steht (Stichwort „Amerikanisierung“), naturgemäß auf wenig Gegenliebe.
Geradezu prototypisch für diesen gesellschaftlichen Mainstream ist die Düsseldorfer Popgruppe Die Toten Hosen, die vor knapp fünf Jahren mit ihrem Anti-Bayern-Song Volkes Stimme in den Charts etablierte. Für Campino & Co. steht fest: „Es kann so viel passieren, es kann so viel geschehen, nur eins weiß ich hundertprozentig: Nie im Leben würde ich zu Bayern gehen.“ Sondern natürlich — so viel „Lokalpatridiotismus“, wie Karl Selent treffend befand, muss sein — bodenständig bleiben, im heimeligen Düsseldorfer Kiez nämlich, und bei der regional beliebten Gerstenplörre und fettiger Bratwurst mit den anderen Fußballvolksgenossen darüber lamentieren, dass es in dieser Sportart — zuvörderst bei den Bayern — ja nur noch ums Geld gehe, die Scheiß-Millionäre eh’ alle viel zu viel Geld verdienten und nicht mehr ehrlich malochten wie noch zu Fritz Walters Zeiten. Deshalb wissen die „Hosen“ genau, was sie denn täten, wenn sie „20 wären“ und „supertalentiert“: Gegen Angebote von Real Madrid und Manchester United hätten sie nichts einzuwenden, auch „für Deutschland“ würden sie natürlich spielen. Doch wenn Bayern-Manager Uli Hoeneß „auf der Matte stehen“ würde, wäre aber so was von Feierabend: „Ich würde meine Tür nicht öffnen, weil’s für mich nicht in Frage kommt, sich bei so Leuten wie den Bayern seinen Charakter zu versauen.“
Denn dort pflegt man keine Proletenromantik, kein Blut-Schweiß-und-Tränen-Ideal und keine volksgemeinschaftliche, biergeschwängerte Vereinsheimidylle, wie es viele deutsche Fußballfreunde tun, die „ehrliche“ Spieler und einen „sauberen“ Sport sehen wollen, frei von Kommerzialisierung und anderem kapitalistischen Unbill. Man träumt — ganz romantizistisch und reaktionär, also deutsch — von den guten alten Zeiten, in denen die Kicker noch für lau unterwegs waren, in Nibelungentreue zu ihrem Verein standen und in der Region des Klubs Wurzeln geschlagen hatten.
DER FC BAYERN IN DER WEIMARER REPUBLIK UND IM NATIONALSOZIALISMUS: EIN IDEALES FEINDBILD
Da gibt der FC Bayern in vielfacher Hinsicht natürlich ein ideales Feindbild ab, und das war schon bei seiner Gründung so. Denn der Verein war, wie der Fußball-Historiker Dietrich Schulze-Marmeling befindet, „seinem Namen zum Trotze alles andere als eine bayerische Veranstaltung. Seine Gründer waren ein buntes Gemisch aus Sachsen, Hanseaten und Preußen, darunter auch [viele] Juden. Der Klub sollte sich deshalb schon recht bald den Vorwurf einhandeln, ein Sammelbecken so genannter ‚Zuagroaster’ zu sein“.
Der FC Bayern war ein bürgerlicher Verein, metropolitan, liberal und mit einer beträchtlichen
Zahl an jüdischen Mitgliedern. Etliche von ihnen bestimmten maßgeblich die Geschicke des
Vereins, etwa die Fußballpioniere Gustav Manning und Josef Pollack, der Gründer der Fachzeitschrift
kicker, Walther Bensemann, Jugendleiter Otto Beer, Trainer Richard Dombi oder
der langjährige Präsident Kurt Landauer. Der FC Bayern versuchte immer wieder, aus der
miefigen, deutschen Enge auszubrechen, begriff sich als moderner, weltoffener Klub mit internationalen
Ambitionen, dem das germanische Ideal des Amateurismus fremd war und der
seinen Spielern die Möglichkeit geben wollte, mit dem Fußballspielen auch Geld zu verdienen.
Präsident Landauer weigerte sich gar, den Anhängern ein Stadion zu bauen; er investierte
lieber in Spielergehälter. Im Verein war man sich einig, dass Turnen spießig war und dass ein
eleganter Fußballer das Spielfeld niemals ohne Krawatte betrat. Bereits in den 1920er Jahren
— als andernorts noch Turnvater Jahn und dem Deutschtum gehuldigt wurde — spielte der Klub
ausgesprochen häufig gegen internationale Mannschaften und verpflichtete internationale
Trainer wie etwa den schon erwähnten Richard Dombi, der den Verein 1932 zur ersten deutschen
Meisterschaft führte.
Die Nationalsozialisten stoppten den Aufstieg des FC Bayern zu einem erfolgreichen Klub schließlich jäh. Das neu eingeführte Amateurgesetz bereitete Professionalismus und internationalem Engagement ein Ende, wovon die Bayern besonders hart betroffen waren. Zudem trafen die antisemitischen Verbrechen der Nazis natürlich auch die jüdischen Mitglieder des Klubs, zum einen beispielsweise durch die Einführung des so genannten „Arierparagrafen“ auch im Bereich der Turn- und Sportverbände und den dadurch folgenden Ausschluss von Juden aus den Vereinen, zum anderen durch unmittelbare Verfolgung. Nationalspieler „Ossi“ Rohr etwa, der als einer der ersten deutschen Kicker überhaupt als Profi ins Ausland gegangen war, wurde in Frankreich 1940 ins KZ deportiert, weil die Nazis den bezahlten Fußball für eine „jüdische Erfindung“ hielten. Präsident Kurt Landauer, der dem Verein von 1913 bis 1933 vorgestanden hatte, wurde im Zuge der Novemberpogrome ins Konzentrationslager Dachau verschleppt und floh kurz nach seiner Freilassung ins Schweizer Exil nach Genf. Dort unterhielt er gute Kontakte zum FC Servette, gegen den die Bayern bereits vor 1933 des öfteren zu Freundschaftsspielen angetreten waren. Als der Münchner Klub 1940 erneut in Genf gastierte, stürmte die Mannschaft nach dem Schlusspfiff auf die Tribüne, um ihren alten Präsidenten zu begrüßen, was ihr nach ihrer Rückkehr massive Repressalien eintrug. Landauer wurde 1947 übrigens erneut zum Präsidenten gewählt, womit die Bayern quer zur allgemeinen Entwicklung in anderen Vereinen lagen, in denen die Präsidien oft genug aus Nationalsozialisten bestanden, die nach dem Krieg rasch wieder in Amt und Würden gekommen waren.
Die Nazis hielten es in München mit dem Lokalrivalen des FC Bayern, dem „Arbeiterverein“
TSV 1860, der von ihnen so ziemlich jede Unterstützung bekam und bereits 1936 von einem
Nationalsozialisten geführt wurde — Emil Ketterer nämlich, in der NSDAP seit 1923 und SAMitglied
seit 1931. Ketterer saß auch im gleichgeschalteten Münchner Stadtrat und unterhielt
beste Beziehungen zu Oberbürgermeister Fiehler. Diesem teilte er im Februar 1941 stolz mit,
„dass ein prozentual großer Teil der Mitgliedschaft sehr früh bei der Fahne Adolf Hitlers war“
— im Gegensatz zum FC Bayern, der den Nazis als „Judenklub“ galt. Zwar unterzeichnete
auch er einen Erlass, mit dem die so genannte „Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“
beschlossen wurde. Dennoch war die Nazifizierung des Klubs eine vergleichsweise zähe Angelegenheit:
Die Nationalsozialisten stellten lange nur eine kleine Minderheit im Verein dar,
die vor allem in der Skiabteilung vertreten war, und dem FC Bayern standen noch viele Jahre
Mitglieder vor, die den Nazis nicht als ausreichend loyal erschienen und die nicht über die
nun notwendigen politischen Verbindungen verfügten. Erst 1943 kam mit dem Bankier Sauter
der Wunschkandidat der NSDAP an die Spitze des Vereins, und erst ab diesem Zeitpunkt änderte sich auch dessen Verhältnis zu Partei und Stadtverwaltung grundsätzlich. Dietrich
Schulze-Marmeling schreibt dazu: „Die Zahl ausländischer Gäste wurde immer geringer, und
es waren fast nur noch ‚deutschsprachige Ausländer’, mit denen man sich maß.“
Wie anders verlief dagegen nicht nur die Geschichte des TSV 1860 München, sondern auch beispielsweise die des bis heute als Arbeiterklub abgekulteten FC Schalke 04, der des Führers Vorzeigeverein war, sechs seiner sieben deutschen Meisterschaften zwischen 1933 und 1945 gewann und seinerzeit auch einen beträchtlichen Teil der deutschen Nationalmannschaft stellte.
DIE RESSENTIMENTS LEBEN AUCH IN DER GEGENWART FORT
Doch die Toten Hosen — und damit sind wir wieder bei der Gegenwart — schert das genauso wenig wie das Gros der deutschen Fußballfans. „Ganz egal wie hart mein Schicksal wär’, ich würde nie zum FC Bayern München gehen“, trällert Campino, und der Mob grölt es leidenschaftlich mit. Schließlich gibt es, um noch einmal die „Hosen“ zu zitieren, „nicht viel auf dieser Welt, woran man sich halten kann“. Karl Selent brachte es bereits vor fünf Jahren in der Düsseldorfer Monatszeitung Terz auf den Punkt: „Nicht das tatsächlich Negative, das abstrakte, das objektive Kapitalverhältnis ist Thema der Toten Hosen, nein, das Abstrakte wird konkretisiert und personalisiert im Lackstiefelclub FC Bayern München, um es sodann austreiben zu können.“ Es ist das alte Lied des Fetischismus, des notwendig falschen Bewusstseins, das wohl das Gros der Bayern-Hasser immer wieder anstimmt, dessen Refrain stets aufs Neue vom unverstandenen Zusammenhang zwischen Warenform und Denkform kündet und bei dem der Background-Chor für die antisemitischen Untertöne sorgt. Denn so, wie außerhalb des Fußballs finstere Mächte für soziale Kälte, Verrohung, schlechtes Essen, Kulturlosigkeit, Zersetzung, Künstlichkeit und die grenzenlose Dominanz des Geldes sowie Machtmissbrauch verantwortlich sein müssen, wird auch im Fußball dessen notwendige Warenförmigkeit auf eine gemeine Verschwörung sinistrer Gestalten heruntergebrochen, die Name und Anschrift haben müssen und deren Hauptsitz der beleidigte Fan in der Säbener Straße 51 in München verortet — dort also, wo der FC Bayern seinen Sitz hat.
Dabei wäre es, folgt man den Toten Hosen, eigentlich ganz einfach, die vorgebliche Allmacht des Rekordmeisters zu brechen, wenn man es denn nur wollte und nicht ständig den Versuchungen des Mammonismus erliegen würde. Denn: „Muss denn so was wirklich sein? Ist das Leben nicht viel zu schön, sich selber so wegzuschmeißen und zum FC Bayern zu gehen?“ Wer das tut, handelt also moralisch verwerflich und ist gesellschaftlicher Müll, denn statt die wahren — das heißt immateriellen — Werte des Lebens zu erkennen und nach ihnen zu leben, folgt er mit kalter Berechnung dem allfälligen Ruf des Geldes. Warum das so ist, diese — lediglich rhetorische — Frage haben sich die Hosen aber auch schon gestellt: „Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben bei diesem Scheißverein?“ Das müssen dann wohl die Feinde des Volkes sein — Juden, Amerikaner, Bonzen oder was auch immer —, bei deren Sprösslingen der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. „Von solchem proletenhaften Abstammungsdenken war es einst nur ein Katzensprung zum Rassenantisemitismus gegen den ‚Judenclub’ FC Bayern München“, befand Karl Selent, der hier erneut zitiert werden soll, in seinem Terz-Beitrag völlig zu Recht.
Als „Judenklub“ werden die Bayern heute in der Regel nicht mehr beschimpft, aber die Ressentiments, die sich gegen sie entladen, greifen dennoch auf das Repertoire antisemitischer Topoi zurück. Man hasst den Klub, weil er erfolgreich ist und dieser Erfolg angeblich ausschließlich dem vielen Geld zu verdanken ist, das der Verein besitzt, zu dem er mühelos und ohne Arbeit gekommen zu sein scheint — vermutlich durch undurchschaubare Transaktionen und zwielichtige Geschäfte — und das sich wie von selbst zu vermehren scheint, während andere Klubs darben und ständig um ihre Existenz kämpfen müssen. Hier deutet sich die uralte antisemitische Aufspaltung in „schaffendes“ (also deutsches) und „raffendes“ (vulgo: jüdisches) Kapital mehr als nur an. Man wirft dem FC Bayern vor, gewissermaßen ein Kunstprodukt zu sein und seine Erfolge bloß erkauft zu haben, statt sie zu erkämpfen, wie sich das für anständige Deutsche gehört. Und noch in vordergründig harmlos erscheinenden Vorwürfen gegen den Klub scheinen immer wieder Stereotypen durch, die auch im antisemitischen Arsenal ein Zuhause haben. Das Gerede vom vorgeblich typischen „Bayern-Dusel“ etwa meint ein angeblich unverdientes Glück und stellt diesem den ehrlich erarbeiteten Erfolg oder doch wenigstens die ehrenvolle Niederlage gegenüber — ganz so, als ob nicht auch ein Tor in der Nachspielzeit zählen würde, das möglicherweise das Ergebnis größerer Fitness, Konzentration oder was auch immer ist und jedenfalls nicht auf unlautere Einflüsse zurückgeführt werden kann. Auch die Behauptung, der FC Bayern stehe mit den Schiedsrichtern im Bunde, ist eher im Reich der Verschwörungstheorien zu beheimaten als in der Realität; statistisch zu belegen ist sie jedenfalls nicht. Und schließlich haftet dem Klub im Grunde noch der Ruf der Wurzellosigkeit an, der Weltläufigkeit statt bodenständiger und traditionsbewusster Heimatverbundenheit. Mögen Spieler und Funktionäre auch in Lederhosen aufs Oktoberfest gehen — der Klub besaß nie ein Stadion in einem bestimmten Stadtteil, seine Fans kommen überwiegend nicht aus München, sondern aus dem Umland, und die Klubführung spielte mehr als einmal mit dem Gedanken, ob eine Europa- oder Weltliga für Bayern München nicht besser wäre als die Bundesliga.
„FC HOLLYWOOD“
Auch wenn Ressentiments nicht durch das Benennen von Fakten aufklärbar sind, sei der Vollständigkeit wegen darauf hingewiesen, dass der Verein sich lediglich ein bisschen geschickter anstellt als seine Konkurrenten und beizeiten auch auf eine bessere Infrastruktur zurückgreifen konnte: Das große Olympiastadion etwa sorgte für höhere Einnahmen bei den Spielen, und das Management hatte ein feines Gespür für die Möglichkeiten finanzieller Akquise. Als erster deutscher Fußballklub dehnte der FC Bayern seine Werbung um Sympathien, Mitglieder und Fans auf das gesamte Bundesgebiet aus, was den Hass auf ihn noch steigerte — man hat schließlich seine Wurzeln zu bedenken und als Kölner zum FC zu halten und als Ruhrgebietsmensch zu Schalke 04 oder Borussia Dortmund. Außerdem erschloss er sich durch ein geschicktes Merchandising weitere Einnahmequellen. Gleichzeitig verpflichteten die Bayern immer wieder auch internationale Stars, erhöhten so ihre Wettbewerbschancen und erweiterten damit wiederum auch ihren finanziellen Spielraum.
Doch solche Fakten fechten die Bayern-Hasser natürlich nicht an. Vielmehr kommen auch — mit antisemitischen Stereotypen eng verbundene — antiamerikanische Ressentiments in der Ablehnung des internationalsten deutschen Fußballklubs immer wieder zur Geltung. Mal geschieht dies indirekt — wie etwa durch den Vorwurf, der FC Bayern sei im Fußball eine arrogante Großmacht, der ständig Absprachen und Regelungen sabotiere und nach eigenem Gutdünken verfahre —, mal passiert es direkt wie durch die Bezeichnung „FC Hollywood“, mit der die Glitzerwelt des Klubs, der Klatsch und Tratsch um ihn und ganz generell das gleißende Scheinwerferlicht, das beständig auf ihn gerichtet ist, als künstlich, pompös, bombastisch, inhaltsleer, oberflächlich und unseriös — amerikanisch eben — entlarvt werden sollen. Der FC Bayern ist gewissermaßen die USA der Fußball-Bundesliga, der man „Old Europe“ in Form von Vereinen wie dem 1. FC Kaiserslautern, Borussia Dortmund oder Schalke 04 entgegenstellt, wenn man es nicht gleich aus Prinzip mit Underdogs à la SC Freiburg, Mainz 05 oder dem FC St. Pauli hält, die vermeintlich ganz anders funktionieren. Denn bei diesen werde Fußball noch gearbeitet, seien die Fans in Treue fest mit ihrem Klub verbunden und gehe es familiärer, dörflicher und intimer zu als bei den großen Bayern: Hier das kleine, ungemütliche und baufällige Stadion; dort die prachtvolle und komfortable Allianz-Arena, die der Volksmund bereits „Arroganz-Arena“ nennt. Hier die gewachsene und überschaubare Familie der aufrechten Anhänger, die bei Wind und Wetter kommen, mit ihrem Team durch Dick und Dünn gehen und Leiden für einen Wert an sich halten; dort die gesichtslose Schar erfolgsverwöhnter Opportunisten, die keine Fans sein können, weil ihr Verein ja ständig alles gewinnt, und die gar nicht wissen, wie es ist, wenn man ständig auf die Mütze bekommt. Hier die kuschelige Scholle, dort die kalte, fremde Großstadt; hier die deutschen Werte, dort die amerikanischen; hier die Opfer, dort die Täter.
BAYERN-FANS: UNFÄHIG ZU „WAHREN“ GEFÜHLEN?
A propos Fans. Es soll selbstverständlich gar nicht bestritten werden, dass die Topoi des Antiamerikanismus und Antisemitismus in direkter oder indirekter Form nicht nur gegen die Bayern in Anschlag gebracht werden. Die Klagen etwa über „Kommerzialisierung“, den „Ausverkauf des Fußballs“, den „Verrat von Traditionen“ oder die Artifizialisierung sind allgegenwärtig, doch sie werden in erster Linie von Fans erhoben, die in ihrem Lieblingsverein offenbar eine Art Gegenprinzip zum FC Bayern sehen oder wenigstens gerne hätten, dass er eines ist (was nicht bedeutet, dass nicht auch Bayern-Anhänger solche Beschwerden führen). In Dortmund etwa schreien die Treuesten der Treuen „Verrat!“, wenn das Westfalenstadion in Signal-Iduna-Park umbenannt wird, den TSV 1860 wollen dessen Fans eigentlich lieber in der Bruchbude an der Grünwalder Straße spielen sehen statt im Fußballtempel Allianz-Arena, und von des Linken Heiligtum FC St. Pauli fange ich hier lieber gar nicht erst an. Alle sind sie natürlich „wahre“ Fans im bereits geschilderten Sinne, deren Sehnsucht nach Unmittelbarkeit und Vermittlungslosigkeit bestenfalls naiv und schlimmstenfalls gefährlich ideologisch ist. Das bedeutet im Umkehrschluss übrigens nicht notwendig, dass deshalb alles, was sich im bezahlten Fußball so zuträgt, umstandslos zu befürworten wäre. Aber wer — um nur ein Beispiel zu nennen — lieber auf baufälligen Tribünen steht als den gestiegenen Komfort zu begrüßen, den der Um- und Neubau der Stadien mit sich bringt, muss sich fragen lassen, ob er noch alle Latten am Zaun hat und ob nicht vielmehr die Tatsache, dass der Eintritt in die Stadien für viele schlicht unerschwinglich geworden ist, einen berechtigten Einwand begründen würde.
In dem Maße, wie der FC Bayern als Prototyp eines modernen kapitalistischen Fußballklubs gesehen wird, gelten auch seine Fans bei den Anhängern anderer Mannschaften als Negativfolie. An dieser Stelle könnte ich reichlich aus den diversen Fan- und Ultra-Foren zitieren, aber in besonderer Weise eignen sich einige Zeitungsartikel dazu, die — darin den Toten Hosen sehr ähnlich — das Ressentiment in bemerkenswerter Weise zu bündeln vermögen. Dem taz-Journalisten Johannes Keller etwa entfährt es: „Bayern-Fans sind Feiglinge!“ Denn: „Jeder Fußballfan weiß es intuitiv. Es ist nicht nötig, es auszusprechen. Keiner zweifelt daran. Und doch gibt es das Bedürfnis, es ein für alle Mal festzustellen: Es gibt keine Bayern-Fans. Ohne Zweifel, es gibt Menschen, die sich einbilden, Fans von Bayern München zu sein. Ihrem äußeren Verhalten nach könnte man sie auch als solche wahrnehmen. Sie tragen die Trikots ihrer Mannschaft, jubeln bei Treffern für ihr Team, lesen in der Zeitung jede noch so unwichtige Meldung über ihren Verein und fiebern dem nächsten Spieltag entgegen. Aber ihnen fehlt doch das Eigentliche, die Essenz des Fan-Seins: Verzweiflung.“
Das Leiden ist — ich sagte es bereits — in dieser Sichtweise ein Wert an sich und nicht der Schmerz über entgangenes Glück, den man nicht ertragen kann. Also müssen Menschen, die es mit den Bayern halten, Eisblöcke sein, unfähig zu echten Emotionen, demnach Robotern gleich, die programmierbar sind und keine menschliche Regung kennen. Der taz-Autor spricht das auch bemerkenswert offen aus: „Es gibt keine Anhänger des FC Bayern, die jemals von diesem Gefühl [der Verzweiflung] gepackt wurden. Über Tage hinweg wie gelähmt zur Arbeit zu gehen, im Kopf nur der Gedanke an die drohende Niederlage, das endgültige Aus, den Abstieg, den verpassten Aufstieg oder UEFA-Cup-Platz. Bayern-Anhänger haben immer eine Gewissheit, die sie immun macht gegenüber jedem Gefühl der Angst und der Ausweglosigkeit.“ Und dann, um auch gleich wieder die Zirkulationssphäre ins Spiel zu bringen: „Sie wissen, ihr Klub kann jede verpasste Chance nachholen. Wenn nicht diesmal, dann eben nächste Saison. Was soll’s, wir holen uns schon die richtigen Leute. [...] Dieser Aspekt der verzweifelten Hingabe fehlt jedem, der sich für den FC Bayern entschieden hat. Und höchstwahrscheinlich ist es gerade das, was diesen Verein für Millionen Menschen so attraktiv macht.“
Millionen von Menschen also, die jedoch höchstwahrscheinlich nur das Gleiche suchen wie die Bayern-Hasser in letzter Konsequenz auch: ein kleines privates Glücksmoment, projektiv aufgehoben in der berauschenden Teilnahme am Erfolg einer Fußballmannschaft, in der Suche also nach einem gewiss allemal bedenklichen „Wir“-Erlebnis, die die einen intuitiv zur irrationalen Verehrung des erfolgversprechendsten Klubs geführt hat und die anderen auf die Tribünen weniger titelträchtiger Vereine — die jedoch bloß das anstreben, was der FC Bayern schon hat und verteidigen will. Bayern-Fans sind nicht anders als die Supporter anderer Klubs; auch sie schimpfen auf die „Scheiß-Millionäre“ und die verfehlte Politik ihres Favoriten, wenn es mal nicht läuft; auch sie pfeifen bei der Jahreshauptversammlung, wenn der Star der Mannschaft zögert, einer bestens dotierten Vertragsverlängerung zuzustimmen. Doch Herr Keller von der taz lässt sich nicht beirren: „Der natürliche Grundzustand des Bayern-Anhängers ist also nicht Verzweiflung, das Gefühl der Ausweglosigkeit und Schwäche, sondern Bayern-Anhänger leben in einem Ausgangszustand der Arroganz und Überlegenheit. Verzweiflung wegen und durch ihren Fußballclub ist diesen Menschen vollkommen fremd. Bayern-Anhänger sind keine Fußballfans, sondern Feiglinge, unfähig zu wahrer Hingabe, die das Risiko einschließt, tief enttäuscht zu werden.“ In Deutschland hatte man es immer schon mehr mit den Helden, das weiß auch ein Frontschwein bei der Alternativpresse.
Katrin Weber-Klüver sekundiert da im SPIEGEL mit Freude und hält die Bayern-Sympathisanten für „die schlechtesten Fans der Liga“. Und wie Die Toten Hosen sucht auch sie die Gründe dafür irgendwo im Bereich zwischen offenem Biologismus und Vulgärpsychologie: „Bayern-Fans sind anders. Ihnen ist alles egal, nur eines muss sein: Dass sie als Sieger nach Hause gehen. Gemeinhin werden Kinder durch familiäre Einflüsse, qua Geburtsort oder durch merkwürdige, schicksalhafte Zufälle Anhänger eines Fußballvereins. Aber es gibt eben auch diese Kinder, die als Fünfjährige cholerische Wutanfälle bekommen, bloß weil sie mal beim Murmelspiel verlieren. Die werden dann Bayern-Fans.“ Und wo Frau Weber-Klüver schon mal dabei ist, denkt es weiter in ihr: „Weil sie den Verein nicht aus Zuneigung ausgewählt haben, sondern um auf der Gewinnerseite zu stehen, sind sie die schlechtesten Verlierer von allen. [...] Jeder normale Fußballfan [...] kennt die Optionen Sieg, Unentschieden, Niederlage, und er versteht es, das Spektrum von Jubel bis Endzeitstimmung auszuleben. Bayern-Fans können das nicht. Sie sehen Fußball wie ‚Derrick’: Es muss nervenschonend spannungsfrei zugehen und der Erfolg am Ende von Anfang an feststehen.“ Wie gesagt: Emotionen, die ihren Namen verdienen, müssen den Anhängern des FC Bayern offenbar fremd sein. Aber es kommt noch schlimmer: „Alles andere — Betrug! Betrug am Konsumenten. Nichts anderes ist der Bayern-Fan: ein Konsument, der Service erwartet.“ So etwas ist natürlich untragbar, wenn es um höhere Werte geht und der Weg das Ziel ist.
VOM UMGANG DES KLUBS MIT SEINER GESCHICHTE
Abschließend sei verdeutlicht, dass der heutige FC Bayern München — das heißt seine Spieler, Trainer, Funktionäre und die Fans — keinerlei Bezug mehr auf die Geschichte des Klubs vor 1945 nimmt. Die offiziellen Vereinsbücher bedenken die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit dürren Worten, und nicht selten scheint es, als ob diese Periode schlicht beschwiegen werden soll. Manager Uli Hoeneß etwa lässt kurz und knapp ausrichten: „Ich war zu der Zeit nicht auf der Welt.“ Die Initiative, Gedenksteine für den in Majdanek ermordeten Bruder des ehemaligen Präsidenten Kurt Landauer, Leo Landauer, und für den in Kaunas umgebrachten Ex-Jugendleiter Otto Beer verlegen zu lassen, lehnte der Klub ab, anders als etwa der Hamburger SV. Der Pressesprecher des FC Bayern verkündete dazu: „Wir möchten an dieser Geschichte nicht teilnehmen. Wir kriegen so viele Anfragen zu Dingen, die wir tun könnten, wir konzentrieren uns auf unsere Hauptaufgaben.“
Aber es geht, wie zu Beginn schon gesagt, auch gar nicht darum, Bayern München und seine
Anhänger als Speerspitze der Aufklärung darzustellen — auch wenn es vielleicht eine gewisse
Genugtuung verschafft, dass der FC Bayern in der Saison 2000/01 ausgerechnet Hitlers Lieblingsklub
Schalke 04 die Meisterschale in letzter Sekunde wieder entriss, und auch wenn man
— ausnahmsweise einmal — Oliver Kahn beizupflichten hätte, der vor dem letzten Spiel jener
Saison in Hamburg meinte: „Bis auf die Bayern-Fans wird das ganze Stadion, wird ganz
Deutschland gegen uns sein — was Schöneres gibt es doch gar nicht!“ Nein, es ging um eine
Kritik der Ressentiments gegen diesen Klub und um die Feststellung, dass er bloß mit völliger
Offenheit seine Ziele ausspricht, wo in anderen Vereinen der falsche Schein hoch gehandelt
wird, der sich rebellisch gebärdet und doch nur purer Konformismus ist.
Dennoch sind manche Äußerungen und Stellungnahmen von Bayern-Funktionären — welche Motivation sie auch immer gespeist haben mag — bisweilen durchaus annehmbarer als die aus anderen Vereinen. Manager Uli Hoeneß etwa kann zumindest mit dem klassischen Deutschnationalismus nicht viel anfangen und hat mehrfach betont, dass die Sympathien der Anhänger für einen Spieler nicht von dessen Staatsangehörigkeit abhängen dürften. Die Beschränkung der Zahl nichtdeutscher Spieler in deutschen Vereinen lehnt er ab, und Nationalmannschaften hält er schon mal für einen Anachronismus, weshalb man über ihre Abschaffung nachdenken müsse, da den Fans ihr Lieblingsverein näher sei.
Nicht unsympathisch war auch der Auftritt des FC Bayern bei seinem letztjährigen Champions League-Gastspiel am jüdischen Neujahrstag in Tel Aviv gegen Maccabi. Der Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge etwa äußerte sich in einem Interview geradezu begeistert über Israel und verurteilte den palästinensischen Terror scharf. Auch die Mannschaft zeigte so etwas wie politisches Bewusstsein: Normalerweise trägt das Team bei internationalen Begegnungen schwarze Trikots, Hosen und Stutzen. In Tel Aviv lief es jedoch ganz in roter Kleidung auf. Bemerkenswerte Begründung: Die schwarze Kluft könne in Israel Assoziationen zur Uniform der SS hervorrufen. Und das gelte es unbedingt zu vermeiden. Keine große Sache vielleicht, sondern eigentlich eine Selbstverständlichkeit und doch nicht alltäglich. Allerdings auch nicht bei den Bayern.
ALEX FEUERHERDT
Der Vortragstext als PDF-Datei:
Der Audiomitschnitt als MP3-Datei: