Um die Repressionen bekannt zu machen, die wir zur Zeit in der Festung Europa erleben, berichten wir im Folgenden über die Situation der Genossinnen und Genossen, die als Teil der repressiven Welle von 2003 derzeit auf ihr Urteil warten.
Im Juni 2003 wurden während der Demonstrationen gegen das EU-Ministertreffen in Thessaloniki (Griechenland) insgesamt 68 Demonstrantinnen und Demonstranten festgenommen. Bis auf sieben Personen, darunter drei GriechInnen, zwei Spanier (Carso de Aranjuez und Fernando de Burgos), einem Engländer und einem Syrer, die circa fünf Monate in Untersuchungshaft verbrachten, wurden alle wieder freigelassen. Erst nach einem 54-tägigen, lebensbedrohlichen Hungerstreik konnte genügend Druck ausgeübt werden, um die Freilassung dieser sieben Personen am 26. November 2003 zu erreichen, obwohl das Verfahren gegen sie weiter geführt wurde. Die Entscheidung zum Hungerstreik war der Glockenschlag, der auf internationaler Ebene zu einer weitläufigeren Berichterstattung über die kritische Situation dieser GenossInnen führte, wodurch ihre Freilassung durch gemeinsame Solidaritätsaktionen in vielen Teilen der Welt erzwungen wurde.
Am 10. Oktober 2005 fand der erste Prozess in dieser Angelegenheit gegen insgesamt sechs Personen statt. In einem ersten Urteil wurde einer der Angeklagten freigesprochen, die anderen fünf (darunter auch Carlos) wurden zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren wegen Waffenbesitzes (Steine, Schlagstöcke), Anstiftung zu Unruhen sowie Widerstand und Aggression gegen die Staatsgewalt verurteilt. Alle gingen in Berufung, weshalb sie vorläufig auf freiem Fuß sind und das endgültige Strafmaß noch unklar ist. Das Verfahren gegen weitere 30 DemonstrantInnen (darunter Fernando) ist noch anhängig und es steht noch kein Termin für die Verhandlung fest. Aus diesem Grund rufen wir dazu auf, die Ereignisse zu verfolgen und unsere GenossInnen weiter zu unterstützen.
Gleichzeitig wurden im Zusammenhang mit den Unterstützungsaktionen für die Befreiung die sieben in Thessaloniki Festgenommenen am 16. September 2003 in Barcelona auf Befehl des Sondergerichts, dem Nationalen Gerichtshof (Audiencia Nacional), sechs AnarchistInnen festgenommen, ein siebter wird noch mit Haftbefehl gesucht. Nach fünf Tagen der physischen und psychischen Folter und ohne Kontakt mit der Außenwelt in den Zellen der Guardia Civil, wurden fünf (Carol, Igor, Joaquín, Rafa und Roger) in Untersuchungshaft genommen, der sechste (Teo), wurde vorläufig auf freien Fuß gesetzt, und der siebte (Inigo) wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Zur Zeit warten die sechs auf ihren Prozess, zwei sind vorläufig auf freiem Fuß (Roger wurde im November 2004 gegen Kaution freigelassen) und vier im Gefängnis. Die Strafanträge der Staatsanwaltschaft in diesem Prozess wurden gerade veröffentlich und lauten folgendermaßen: Der Genosse Inigo wird als vom Prozess abwesend erklärt. Der Genosse Teo soll zu einer Geldstrafe in Höhe von neun Millionen Peseten und einer Gefängnisstrafe zwischen fünf und zehn Jahren verurteilt werden. Für den Genossen Roger wird ebenfalls eine hohe Geldstrafe und über 50 Jahre Gefängnis gefordert. Für die in Haft befindlichen GenossInnen (Rafa, Carol, Igor und Joaquín) werden ebenfalls hohe Geldstrafen und teilweise über 100 Jahre Gefängnis gefordert. Kurzum, eine Warnung an all diejenigen, die es wagen, ihrem Weg zu folgen.
Es ist nun einige Zeit vergangen, seit über den Hungerstreik, der im Oktober 2003 die fünf GenossInnnen fast das Leben kostete, in den Medien der spanischen Linken berichtet wurde. Diese Medien war es auch, die während der Demonstrationen von Thessaloniki nicht zögerten, diejenigen, die gegen den EU-Gipfel protestierten, als Provokateure und Gewalttäter zu bezeichnen. Es ist eben nicht das Gleiche, ob man aktive und vom System nicht mehr zu verwendende aktive DemonstrantInnen verteidigt, die sich gegen den staatlichen Terrorismus mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen, oder ob man fünf Personen, die in einer schäbigen Zellen weit von zu Hause zwischen Leben und Tod schweben, bedauert. Was man im Juni nicht hatte verkaufen können (gewalttätige Demonstranten) war im November vertretbar (Gefangene, die in Lebensgefahr schwebten). Dabei vergaß man, dass diese GenossInnen sich ja deshalb in dieser Situation befanden, weil sie sich geweigert hatten, an den tolerierten Formen des Protestes teilzunehmen (siehe Demonstrationen, Verhandlungen mit der Regierung, Wahlen, staatlich subventionierte Opposition...) gegen die europäischen Institutionen im Dienste des Kapital, und dass es genau diese Weigerung und die Entscheidung für die direkte Konfrontation mit den EU-Bossen war, die sie ins Gefängnis und in diese Situation gebracht hatte. Zynischerweise zögerte die Linke nicht, diese Bahnen zu nutzen um die Revolten zu kanalisieren. Deshalb und wohlwissentlich sind die Urteile über die schwersten Delikte (des Spaniers Fernando, des Engländers Simon, des Syriers Castro und der Griechen Mijalis, Mitosis und Spiros, wenn auch noch ohne endgültigen Strafantrag) noch anhängig. Wir weisen entschieden zurück, dass dieses linke Gesindel seine Nase in diese Situation steckt, in der sich die GenossInnen befinden, nur um gut da zu stehen und sich als Anwalt der Armen zu präsentieren. Unsere GenossInnen brauchen diese christliche Anteilnahme nicht, denn sie wussten, welcher Gefahr sie sich mit der Teilnahme am EU-Gegengipfel aussetzten. Von diesem Staat konnten sie nur Repression oder Integration erwarten, und da wir uns weigern, seine Marionetten zu sein, die entweder mit Samthandschuhen oder mit Eisenhänden manipuliert werden, sondern unsere Selbstbestimmung wollten und in einer Anarchie leben, wollen wir keine Unterdrücker und auch keine Vermittler der Unterdrückung. Nieder mit dem Kapital und seiner falschen Opposition.
Andererseits, als in Barcelona Festnahmen erfolgten, darunter viele aufgrund von Solidaritätsbekundungen mit den Inhaftierten von Thessaloniki, gab es die angebliche Versendung einer Paketbombe an die griechische Botschaft in Madrid. Damals gab es einige, die sich von dieser Aktion distanzierten, um damit ihren Ruf als Salonanarchisten zu erhalten. Genau diese Leute, für die Sabotage und Angriffe auf die staatlichen Strukturen und das Kapital von 30, 40 oder 70 Jahren vollkommen vertretbar waren, versuchten nun ihren guten Ruf zu schützen, als die Unterdrückung in ihrer eigenen Umgebung spürbar wurde und jetzt mehr war als ein Kapital im Geschichtsbuch. Denn der soziale Krieg ist kein Spiel. Und der Staat verzeiht es nicht, wenn das Wort und die Handlungen der tödlichen Strukturen in Frage gestellt werden, auf denen er beruht. Wenn einzelne Personen der Meinung sind, dass die Inhaftierung von GenossInnen aufgrund ihrer Verhaftung in Thessaloniki ihre Ablehnung rechtfertige, so würdigen wir doch ihre Aktion, denn sie taten das, was sie für richtig hielten und verdienen unserer Ansicht nach unseren vollen Respekt. Angesichts des baldigen Prozesses verdienen sie auch unsere Unterstützung. Der Strafantrag liegt vor. Die Verbreitung von Informationen darüber liegt in unseren Händen.
Die Inhaftierung von AnarchistInnen, hauptsächlich in den Ländern des sogenannten "Anarchistischen Mittelmeerdreiecks" (Spanien, Griechenland und Italien) ist ja seit der Schaffung der spezialisierten Europol Task Force gegen "anarchistischen Terrorismus" ein regelmäßiges Vorkommnis geworden. Die Zunahme des Angriffsniveaus auf die demokratischen Strukturen (Indoktrination durch das Erziehungssystem, System zur Ausbeutung und Zerstörung der Natur, Festung Europa und die gemeinsame Grenze im Mittelmeer, Gefängnis-Folter, Desinformation durch die Medien, Medien als Sprecher der Mächtigen...) hat eine großangelegte unterdrückerische Reaktion ausgelöst. Die Liste der unterdrückerischen Schläge ist endlos (Festnahme von acht AnarchistInnen in Valencia 2002 und 2003, Dutzende von Durchsuchungen und Inhaftierungen während der Operation Cervantes in Italien und die Inhaftierung von vier GenossInnen in Aachen, alles 2004...) aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Wir rufen dazu auf, die Unterdrückung, die uns umgibt, aufmerksam zu beobachten. Wir wollen diese Situation nicht als Defensiv- oder Widerstandsplan nutzen. Wenn wir hier sind, dann um weiterzukommen und zu versuchen, etwas Neues zu gewinnen, das es Wert ist, gelebt zu werden, und nicht um die Krumen aufzusammeln, die uns vorgeworfen werden. Sie bellen, weil wir reiten. Wenn sie uns unterdrücken, dann weil wir sie stören. Wenn sie uns inhaftieren, dann weil sie uns fürchten, weil ihre frühere Strategie, uns in ihr demokratisches Netz zu integrieren, nichts genützt hat. Durch die Inhaftierung unserer Brüder und Schwestern zeigen sie ihr wahres Gesicht, jetzt haben sie die Karten auf den Tisch gelegt.
Wer verstehen will, versteht. Aktive Solidarität hier, dort, jetzt und immer.
Kurz vor Druck dieses Flugblattes erfuhren wir von der Verhaftung dreier Genossen (Ignasi, Max und Rubén) am 9. Februar in Barcelona unter Vorwurf verschiedener Straftaten. Zwei von ihnen befinden sich in verschiedenen Gefängnissen in Barcelona in Haft, Max wurde freigelassen. Die Beweise sind fadenscheinig, was es nicht gibt, wird fabriziert.
Keinen Schritt zurück! Es lebe die Anarchie! Nieder mit den Gefängnissen!
Um die neuesten Entwicklungen zu verfolgen: www.alasbarricadas.org
Februar 2006, irgendwo im Mittelmeerdreieck