Insgesamt mussten 10 000 Frauen und Männer schuften - wie eine neue Dokumentation belegt - mehr als bisher angenommen
Von unserem Redakteur Gerhard M. Kirk
Sie kamen als Kriegsgefangene aus der Sowjetunion, aus Frankreich und aus Indien. Oder sie wurden nach regelrechten Treibjagden aus ihren Heimatländern Polen, Holland und Norwegen verschleppt. Und sie alle landeten als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Freiburg - zwischen 1939 und 1945 insgesamt etwa 10 000 Menschen. Also gut 3500 mehr als bisher angenommen, wie die jetzt beim Stadtarchiv erschienene Dokumentation ". . . aber das Leben war unvorstellbar schwer" belegt.
"Im Jahr 1944 gab es in Freiburg keinen Betrieb ohne Zwangsarbeit", sagt der Autor des Buches Bernd Spitzmüller, "und zwar unter Bedingungen, die man seinem schlimmsten Feind nicht zumuten möchte." Besonders schwer hatten es nach Erkenntnissen des Historikers und Soziologen osteuropäische Frauen. Waren sie schwanger, wurden sie zu Abtreibungen (etwa 900) gezwungen - und dabei oft gleich zwangssterilisiert (ebenfalls ungefähr 900). Bekamen sie Kinder, ließ man die verhungern oder tötete sie. Junge Frauen, hat Bernd Spitzmüller aus Dokumenten und Erzählungen von Zeitzeugen herausgefunden, mussten die schmutzigsten Arbeiten machen (zum Beispiel Lokomotiven reinigen), barfuß in Holzschuhen, ohne Arbeitshandschuhe, ohne warmes Wasser zum Waschen, bisweilen mit einer Arbeitszeit von 72 Stunden pro Woche.
"Und Hunger war der ständige Begleiter der Kriegsgefangenen und Ostarbeiter." Sie waren in Lagern untergebracht, die Rhodiaseta hatte ein eigenes, ein anderes Ostarbeiterlager gab es an der Sautierstraße. Besser erging es jenen Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern, die als "Westarbeiter" bezeichnet wurden und aus Italien, Frankreich oder Belgien stammten: Sie bekamen Lohn und Lebensmittelmarken, durften ins Kino und sogar heiraten. Wurde indes ein polnischer Mann mit einer deutschen Frau "erwischt", wurde er gehängt (und die Frau kam ins Konzentrationslager).
Ständig gab es zwischen 1939 und 1945 in der Stadt nach den nicht gerade einfachen Recherchen Bernd Spitzmüllers (die meisten Unterlagen wurden vor dem Kriegsende vernichtet) 2000 bis 3000 Ost- und später etwa 1600 Westarbeiterinnen und -arbeiter. Sie mussten jene ersetzen, die an der Front oder bei der Waffen-SS waren. "Ohne die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter", sagt Bürgermeister Ulrich von Kirchbach, "wären die Versorgung der Zivilbevölkerung und die Produktion der Rüstungsindustrie nicht aufrecht zu erhalten gewesen." Sie arbeiteten im Städtischen Gaswerk ebenso wie in der Landwirtschaft, in Privathaushalten und Industriebetrieben (unter anderem Fortschritt, Mercedes Benz, Stolberger Zink, Hellige, Schafferer); selbst der legendäre Schuhmacher Lang beschäftigte einen Zwangsarbeiter aus Holland.
Diese Zwangsarbeit, weiß Ulrich von Kirchbach aus Gesprächen mit "Ehemaligen", hat die Menschen geprägt und belastet sie bis heute. Die Stadt Freiburg hat deshalb im Jahre 2000 für ein eigenes Entschädigungsprogramm umgerechnet 250 000 Euro bereitgestellt (die an 240 Frauen und Männer verteilt wurden). Sie hat die "Ehemaligen" nach Freiburg eingeladen und für sie an der Ecke Sautier-/Nordstraße ein Mahnmal aufgestellt. Für den Bürgermeister "können das nur Gesten sein, die unsere Mitverantwortung ausdrücken sollen". Umso wichtiger erscheint ihm wie Ulrich P. Ecker, dem Leiter des Stadtarchivs, das, was Bernd Spitzmüller in mehreren Jahren zur Geschichte der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter in Freiburg zusammengetragen hat. "Es ist das Resultat unverzichtbarer Erinnerungsarbeit."
Das Buch "...aber das Leben war unvorstellbar schwer" mit 200 Seiten und vielen Fotografien ist im Verlag Stadtarchiv Freiburg erschienen und im Buchhandel für 24,95 Euro erhältlich.
Quelle: Badische Zeitung vom Montag, 6. Dezember 2004