Von Ralf Streck
In Freiburg regiert ein Oberbürgermeister der Bündnisgrünen. Der scheint frühere Ansichten zu Häuserbesetzern abgelegt zu haben. Freiburg sieht sich in die 70er und 80- er Jahre zurückversetzt. Damals standen Hausbesetzungen und Demonstrationen in der Metropole am Schwarzwald auf der Tagesordnung. Nun erlebt die Stadt eine kleine Renaissance des Häuserkampfs. Vor allem der Konflikt um das selbstverwaltete Zentrum (KTS) birgt Zutaten für eine explosive Mischung. Die KTS-Initiative erhielt für ihr selbstverwaltetes Zentrum die Kündigung. Sie darf derzeit im Haus keine Veranstaltungen organisieren. Bis zum 12. März will sich die Initiative an die Vorgaben halten, doch das 10-jährige Bestehen soll in den eigenen Räumen gefeiert werden. In Freiburg lösten sich über Jahre Besetzungen mit sofortige Räumungen, Strafbefehle und Kriminalisierung ab, seit das Autonome Zentrum (AZ) 1986 unter ungeklärten Umständen in Flammen aufgegangen war. 1994 kam endlich ein Dialog in Gang, mit dem eine stabile Lösung für das AZ gefunden zu sein schien. Zur Verhandlung musste der damalige SPD Oberbürgermeister mit einem Spontanbesuch der Besetzer in dessen Schwarzwälder Ferienhaus allerdings erst genötigt werden. Druck von Teilen der SPD-Fraktion und von den Grünen beförderte die Anmietung des Bahngebäudes. Ende Januar 2004 änderte sich die Lage, wie eine Sprecherin der KTS-Initiative dem Neuen Deutschland erklärte. Aus heiterem Himmel kündigte die Deutsche Bahn fristlos. Die genauen Gründe sind dem Gemeinderat nicht bekannt, erklärte die SPD-Stadträtin Gabi Rolland: »Es scheinen Listen mit Störungen zu kursieren, die wir offiziell nicht kennen, die KTS Initiative auch nicht.« Bahnsprecher Martin Schmolke verwies auf Probleme mit parkenden Autos und Beschimpfung von Bahnpersonal, das sich auch bedroht fühle. Abmahnungen habe es im Vorfeld nicht gegeben, sagte Schmolke. Angesichts der unklaren Situation äußern Gruppen und Initiativen über das KTS-Umfeld hinaus ihr Unverständnis, warum sich Oberbürgermeister Dieter Salomon (Bündnisgrüne) auf die Seite des Verkehrskonzerns schlägt. In einem Brief an die KTS erklärte er, die »vorgetragenen Gründe für die fristlose Kündigung sind aus unserer Sicht nachvollziehbar und verständlich«. Die Mehrheit im Gemeinderat setze sich dagegen für eine Lösung des Konflikts ein, sagte Rolland (SPD). Offensichtlich kennt Oberbürgermeister Salomon, einst Sympathisant der Häuserbesetzer, noch eine andere Bahnsicht. Auf die Frage, ob er ökonomische Gründe für das Verhalten der Bahn ausschließen könne, erklärte Bahnsprecher Schmolke nach einer Denkpause: »Ich kann sagen, dass die von mir genannten Gründe zur Kündigung führten.« Ein klares Dementi klingt anders. Ohnehin verwandelt sich das einstige Brachgelände derzeit durch eine günstige Verkehrsanbindung in ein attraktives Areal. Dass die Bahn recht schnell über das Gelände frei verfügen will, zeigt sie mit deren Räumungsdrohung. Begründung: Während einer Demonstration hätten sich zwei Personen auf die Schienen gesetzt und den Verkehr beeinträchtigt. Die KTS-Initiative protestierte gegen das Verhalten des Bürgermeisters und der Bahn mit einem offenen Brief und auch im Gemeinderat. Man sei es leid, ständig auf alte Anschuldigungen einzugehen, die meist längst geklärt worden seien. Die KTS verlangt bis 12. März eine Lösung. Sie forderte die Stadt auf, alle rechtlichen Mittel gegen die Kündigung auszuschöpfen und technische Lösungen zu suchen. Am 16. März soll es zum 10-jährigen Jubiläum eine Großdemonstration geben. Ob daraus eine »Love or Hate Parade« wird, entscheide die Stadt und die Bahn. Für die Grünen könnte, angesichts der Solidarität in der Bevölkerung mit der KTS, das Vorgehen der Bahn und das Taktieren ihres Bürgermeisters zum Stolperstein bei den Gemeinderatswahlen im Sommer werden. Denn Probleme gibt es auch noch an anderen Stellen: zu rot-grünem Sozialabbau und Studentenprotesten kommt auch die Frage von bezahlbarem Wohnraum. Die einstigen Hausbesetzer der Grünen haben an der Wohnungsnot nicht viel geändert. Sie gehen sogar mit der grünen Polizei gegen heutige Besetzer vor. Erst im Januar wurden zwei besetzte Häuser geräumt.
Quelle: Neues Deutschland vom Dienstag, 24. Februar 2004