Antifa Freiburg
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79100 Freiburg
Pressecommuniqué der Antifa Freiburg, Mai 2006
Staatliche Repression gegen AntifaschistInnen in Baden-Württemberg — Eine (unvollständige) Chronologie der Ereignisse der letzten Wochen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
nachstehend informieren wir Sie über die jüngsten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen die außerparlamentarische Linke im Allgemeinen und Antifa-AktivistInnen im Besonderen. Wie aus den Berichten ersichtlich werden wird, verschärfen Polizei und Justiz in Baden-Württemberg gegenwärtig drastisch und unverhältnismäßig die Repression gegenüber einer unliebsamen Opposition.
Wir bitten Sie als VertreterInnen der Presse, über die unerträglichen Ereignisse zu berichten, nachzuforschen und nachzufragen, kurz: Ihrer demokratischen Verantwortung nachzukommen, die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland zu kontrollieren, Rechtsbrüche anzuprangern und der Kriminalisierung antifaschistischen Engagements entgegenzuwirken.
Wie aus nachstehenden Informationen deutlich werden wird, betreiben wir weder Opferkult noch fallen wir einer Verfolgungsparanoia anheim.
Wir wenden uns an Sie, da ohne eine kritische Presse die staatlichen Repressions- und Willkürmaßnahmen geräuschlos und bar jeder Öffentlichkeit weiter und vermutlich noch verschärfter stattfinden werden. Wir bitten Sie, sich selber ein Bild zu machen, ob die im folgenden dargestellte Vorgehensweise der einer Polizei und Justiz in einer Demokratie adäquat ist.
Im Einzelnen:
6.4.2006: Das soziokulturelle Zentrum "Ex-Steffi" in Karlsruhe wird von der Polizei gewaltsam geräumt. Das SEK kommt durchs Dach und überrascht die noch schlafenden Anwesenden. Es gibt über 20 Festnahmen. In den folgenden Tagen wird das Gebäude abgerissen. Nach einer angesichts der drohenden Räumung im Vorfeld stattgefundenen Demonstration kam es bereits zu über 50 Festnahmen und expliziten Gewaltandrohungen und vereinzelten -anwendungen seitens der Polizei. So wurde versucht, die Festgenommenen durch Aussagen wie "Wenn du gleich die Treppe runterfliegst, kriegt das hier keiner mit!" einzuschüchtern. Dass ein Polizeigewahrsam ironischerweise mitunter zu einem rechtsfreien Raum wird und solche Drohungen durchaus ernst zu nehmen sind, beweist auch dieses: Laut einer Studie der Universität Halle-Wittenberg sind zwischen 1993 und 2003 in Deutschland 128 Menschen in Polizeigewahrsam gestorben. Die Ursache liegt in einer "Vielzahl gravierender Mängel beim Umgang mit Menschen".
Am 13. April durchsuchten BeamtInnen des Staatsschutzes der Kripo Rastatt eine Wohnung in Gaggenau unter dem Vorwand der "Billigung von Straftaten". Angeblich soll der Beschuldigte einen Kommentar auf der alten Internetseite des Infoladen Ludwigsburg gepostet haben, in dem er Verständnis für die Beschädigung von Naziautos im Zusammenhang mit dem Naziaufmarsch am 3. Dezemeber 2005 geäußert haben soll.
01.Mai 2006: Im Vorfeld eines Naziaufmarsches in Heppenheim, Hessen (nahe Baden-Württemberg), erhielten zahlreiche anreisende GegendemonstrantInnen bei Vorkontrollen der Polizei ohne jeden Grund schriftliche Platzverweise und mussten überzogene Kontrollen über sich ergehen lassen. Ferner wurden sie bei dieser Prozedur einzeln abfotografiert. Dieses Vorgehen ist offensichtlich eine Abschreckungsmaßnahme gegen antifaschistische GegendemonstrantInnen schon im Vorfeld von neofaschistischen Aufmärschen. Hier wird ein Generalverdacht ausgesprochen, der rechtlich genauso fragwürdig ist wie das präventive Abfotografieren von Personen vor Demonstrationen, ohne dass es überhaupt zu Gesetzesverstößen und damit zu einem Ermittlungsanlass gekommen wäre. Offensichtlich stellten für Polizei und Verwaltung die GegendemonstrantInnen das eigentliche Problem dar und nicht die Neonazis, denen es die oben beschriebenen polizeilichen Maßnahmen ermöglichten, an einem Tag gleich in drei verschiedenen Orten zu demonstrieren.
Als Folge einer antifaschistischen Demonstration am 18.3.2006 gegen die NPD-Landeszentrale in Pirmasens wurde nunmehr ein Antifaschist wegen "Verstoßes gegen das Vermummungsverbot" angeklagt. Er soll ein von ihm gehaltenes Transparent so hoch gehalten haben, dass Teile seines Gesichts nicht mehr erkennbar gewesen seien.
Und soviel zum Thema Meinungsfreiheit: In Karlsruhe wurden Linke wegen Beleidigung verurteilt, da sie auf einer Demo "BRD, Bullenstaat - Wir haben dich zum Kotzen satt" gerufen haben sollen.
Nachdem bereits am 26.1.2006 in Stuttgart eine Spontandemonstration gegen die Anmelderin eines Nazi-Aufmarsches stattfand, hat die Polizei unlängst Rechnungen in Höhe von bis zu 3.000 Euro an DemonstrationsteilnehmerInnen verschickt. Diese sollen für den Polizeieinsatz und ihre Gewahrsamnahmen die Kosten übernehmen.
Nicht einmal die mindesten legalen Rahmenbedingungen werden teilweise eingehalten: In Ettlingen wurden Hausdurchsuchungen bei linken Jugendlichen ohne den hierfür notwendigen Durchsuchungsbefehl durchgeführt. Zudem werden vor Ort vor allem jüngere Linke von Staatsschutzbeamten "offen" observiert, demonstrativ gegrüßt und eingeschüchtert. Das Signal ist klar: "Wir haben euch im Visier!" Die Repression gegen die Linke in Ettlingen sollte auch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass sich Übergriffe auf Linke durch Neonazis im Raum Karlsruhe, so auch in Ettlingen, häufen. So wurde unlängst das Jugendzentrum Specht mit Hakenkreuzen und faschistischen Parolen beschmiert. Die Leitung des JuZ Specht will auch mit Verweis auf diese Anschläge antifaschistischen Jugendlichen der Region keinen Raum mehr bieten.
Bereits am 23.9.2005 wurde der Antifa-Versand "Nix Gut" von der Stuttgarter Polizei durchsucht und u.a. etliche Kleidungsstücke, Aufnäher, Buttons und Tonträger beschlagnahmt. Der unglaubliche Vorwurf: Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Es handelte sich bei den Symbolen um durchgestrichene oder zerschlagene Hakenkreuze. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, dauert die juristische Auseinandersetzung bis heute an. Das Landgericht Stuttgart hat die meisten Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft nicht einmal zur Hauptverhandlung zugelassen - ein "hinreichender Tatverdacht" sei "nicht zu erkennen" - und die noch strittigen Punkte an das zuständige Amtsgericht verwiesen. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat daraufhin sofort Beschwerde eingelegt - mit dem Ziel, dass der Fall jetzt vor das Oberlandesgericht kommen soll. Sicherlich ist ihnen auch bekannt, dass der Fall "Nix Gut Records" kein Einzelfall ist, was Repression gegen TrägerInnen und VerkäuferInnen antifaschistischer Symbole angeht.
Bereits am 09.04.2005 fand eine landesweite Antifa-Demonstration gegen das Nazi-Schulungszentrum "Goldenes Kreuz" in Rosenberg, Gemeinde Hohenberg, Kreis Hohenlohe statt, die von einem breiten Bündnis aus Antifa, Gewerkschaften, Parteien, sonstigen Organisationen und Einzelpersonen getragen wurde. Aus dem "Goldenen Kreuz" heraus filmten und fotografierten mehrere vermummte Nazis die TeilnehmerInnen der antifaschistischen Demonstration. Aus Selbstschutz vermummte sich eine Rednerin auf der Abschlusskundgebung der Demonstration, die in Sichtweite des "Goldenen Kreuzes" stattfand. Dies wurde vor Ort von der Polizei mit dem Hinweis auf die mit Teleobjektiv filmenden und vermummten Faschisten geduldet. Einige Wochen später wurde der Versammlungsleiter der Demonstration mit einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vermummungsgesetz konfrontiert. Ein Jahr nach der Demonstration erhielt er einen Strafbefehl des Amtsgerichts Ellwangen über 1.800 Euro. Derweil wird die Immobilie in Hohenberg-Rosenberg, gegen die sich die Demonstration richtete, zu einem immer wichtigeren Nazizentrum in der Region.
Wir wollen es bei dieser kleinen Auswahl der jüngsten Ereignisse belassen.
Insbesondere finden wir die Entwicklung bedenklich, dass gerade dort, wo ein erschreckendes Ansteigen von Präsenz und Gewalt durch Neonazis zu verzeichnen ist, mit repressiven Mitteln nicht etwa gegen die Nazis vorgegangen wird, sondern gegen die Menschen, die sich organisiert dagegen wehren.
Sollten Ihrerseits Zweifel am Wahrheitsgehalt der vorstehenden Meldungen bestehen, so würden wir es begrüßen, wenn Sie bei den genannten Behörden selber nachfragen.
Dass VertreterInnen der Presse die staatlichen Organe bzgl. ihres Umganges mit AntifaschistInnen kritischen Fragen unterziehen, wäre eine begrüßenswerte Neuigkeit.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
i.A. Julia Rubin
Antifa Freiburg
Das Pressecommuniqué wurde am 12. Juni ergänzt:
Für den 23. Februar 2005 wurde in Pforzheim eine antifaschistische Demonstration angemeldet, welche sich gegen die seit 1994 stattfindende Fackelmahnwache des neonazistischen Vereins „Freundeskreis ein Herz für Deutschland e.V.“ (F.H.D.) richtete. Mit dem Auflagenbescheid wurde eine Aufforderung zur Zahlung einer Gebühr von 150 Euro zugestellt. Der Anmelder war ein Schüler mit einem monatlichen Einkommen von 25 Euro. Eine weitere antifaschistische Kundgebung für diesen Tag sollte 100 Euro kosten. Am 17. Juni 2005 sollte eine NPD-Veranstaltung mit Günther Deckert stattfinden. Dagegen wurde für diesen Tag eine antifaschistische Kundgebung angemeldet. Auch diese Kundgebung sollte Gebühren in Höhe von 100 Euro kosten. Gegen alle Gebührenbescheide wurde Widerspruch eingelegt, der Prozesstermin ist noch unbekannt. Pforzheim ist die einzige Stadt in Baden-Württemberg in der Demonstrationsgebühren verlangt werden. Desweiteren ist festzustellen, dass die Gebühren je nach Gesinnung des Anmelders variieren. So meldete für den 23. Februar 2006 der DGB eine „Bündnis gegen Rechts“-Kundgebung an, welche 50 Euro kostete. Die Montagsdemonstrationen in Pforzheim kosten seit Januar 2006 gar nichts mehr.