Vorwort
Der Grund, weshalb wir uns mit Filbinger beschäftigen, liegt auf der Hand. Filbinger, mit seinem Werdegang - vom Marineoffizier zum Marinerichter, über seinen Posten als Ministerpräsident von Baden-Württemberg, zum Anwärter als neuer Bundespräsident - ist eben kein Ausnahmefall, sondern deutsche Nachkriegsrealität.
Jeder Totschläger, jeder Schreibtischtäter konnte sich nach dem Krieg sicher sein, daß er nicht hängen gelassen wird. Die ganz Vorsichtigen sind mit Hilfe der Katholiken - des Vatikans und Roten Kreuzes - ins Ausland gegangen (Hunger mußten sie auch dort nicht leiden), während dessen der größte Teil hier geblieben ist. Sie konnten sich darauf verlassen, daß man für sie auch im neuen System Verwendung finden würde. Hans Filbinger war so einer. Vielleicht war er wie die Junker um Stauffenberg etwas schlauer als alle anderen Nazis und weniger größenwahnsinnig fixiert auf den Endsieg, sondern zum Teil eher von der Einsicht geleitet, daß die ganze Planung und Durchführung des Krieges nichts tauge und die Sache wohl schiefgehen würde. Ansonsten wird sich seine Wertevorstellung mit der des Regimes gedeckt haben.
Das Besondere am Fall Filbinger ist, daß er 1978 über seine eigene Geschichte stolperte und jetzt vor zwei Jahren wieder rehabilitiert wurde.
Das wirft einige Fragen auf. Könnte es sein, daß derselbe Generationswechsel, der Projekte wie z.B. die Wehrmachtsausstellung mit ihrer großen öffentlichen Resonanz erst möglich gemacht hat, bei Filbinger gerade das Gegenteil bewirkt hat? Nämlich daß Feldpolizei und Militärrichter sich am Ende des Krieges bei den einfachen Soldaten keiner großen Beliebtheit erfreuten, und sie Filbinger 1978 an der Basis der CDU die Folgschaft verweigerten, nur weil er vor 45 den falschen Job hatte?
Konnte er so, nach dem Abtreten dieser Generation, nun leichter durch konservative Kreise rehabilitiert werden?
Und könnte es sein, daß diese Rehabilitierung eher ein regionales Projekt der Konservativen hier ist, in dem die Verankerung Filbingers vor Ort zum Ausdruck kommt?
Er wohnt hier in Freiburg, ist Ehrenmitglied der CDU, taucht öfter bei Veranstaltungen auf, wie z.B. der CDU-Veranstaltung zur Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.
Spielt bei der ganzen Geschichte der kleine Rechtsrutsch der Badischen Zeitung eine Rolle, bei der vor zwei Jahren die Besitzer deutlicher als vorher das inhaltliche Bild des Blattes vorgaben, und Redakteure die dieser Vorgabe nicht entsprachen rauszuekeln versuchten?
Wir sind an der Einordnung dieser Punkte zu keinem gemeinsamen Nenner gekommen, wenn es diesen überhaupt geben kann.
Eine deutsche Geschichte
Filbingers erster öffentlicher Auftritt geschah 1935 als Jurastudent in Form eines Artikels in der Zeitschrift "Werkblätter" die vom ND Älterenbund herausgegeben wurde. Darin kritisiert er das liberale Strafrecht vor 1933 und lobt das NS-Strafrecht weil es den Schutz der Volksgemeinschaft in den Vordergrund stellt. Für Filbinger war die Volksgemeinschaft in erster Linie eine Blutsgemeischaft, die erhalten und deren "rassisch wertvollen" Bestandteile planvoll vorwärts entwickelt werden sollen. Weiter beschreibt er die "Schutzbestimmungen für die Rasse", den "Volksbestand und die Volksgesundheit" in dem er "Schädlinge am Volksganzen" durch Untersagung der Berufsausübung, durch Entmannung und Sicherheitsverwahrung bestraft sehen möchte. Die Vorgänge um 1933 beschreibt er dahingehend, daß der Staat sich von einem Nachtwächterstaat zu einem realen Willensverband der Nation entwickelt hat, gegen den zu handeln zum schwersten Verbrechen wird das die Rechtsordnung überhaupt kennt.
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß Filbinger als Marinerichter kurz vor Kriegsende den Soldaten Walter Gröger erschießen ließ. Obwohl es Möglichkeiten gab, das Urteil bis zum Kriegsende zu verschleppen, z.B. über ein Vorstelligwerden beim Gerichtsherren bezüglich Verfahrensfragen (dieser hatte zuvor das alte Urteil zu 8 Jahren Haft aufgehoben und auf Todesurteil plädiert). Aber Filbingers Sache war das nicht. Beispielhaft ist auch das Urteil nach Kriegsende gegen den Soldaten Kurt Petzold: Dieser hatte zwei Tage nach der Kapitulation einem Offizier den Befehl verweigert und ihn beschimpft "ihr Nazihunde, ihr habt ausgeschissen", und sich desweiteren die Hakenkreuze von der Mütze und der Uniform riß. Filbinger verurteilte ihn wegen Widerstands, Gehorsamsverweigerung und Zersetzung der Manneszucht zu einem halben Jahr Haft. Das Landgericht Stuttgart bezeichnete im Mai ’78 dieses Urteil in seinem Strafmaß und seiner Begründung als "typisch feldkriegsgerichtsmäßig".
Als die Geschichte des Walter Gröger 1978 an die Öffentlichkeit kam, bastelte Filbinger ein Bild von sich, das einen tätigen Widerstandskämpfer und Antifaschisten zeichnete. Aber es hatte nicht lange bestand. Z.B. behauptete er, daß seine Tätigkeit als Marinerichter ihm die Möglichkeit gab Urteile abzumildern. In dem beschriebenen Verfahren ging es um einen Kapitän der Kriegsmarine, der wegen zersetzender Äußerungen zu vier Wochen Stubenarrest verurteilt wurde. Filbinger forderte und erreichte Freispruch für diese Krähe. Oder daß er sich, wie er von seiner Berufung zum Marinerichter 1944 erfuhr, lieber zu den U-Booten melden wollte, 1944 ein Himmelsfahrtkommando, was ihm aber leider nicht bewilligt worden wäre. Die Recherche in den Archiven ergab dann, daß er schon 1943 an einem Todesurteil beteiligt war, also in einer Zeit in der er nach eigenen Angaben noch als normaler Offizier tätig war. So brach das Lügengebäude Stück für Stück zusammen. Und da half es auch nichts, wie in der Anfangsphase, als diese Geschichte publik gemacht wurde, den Schriftsteller Rolf Hochhuth mit einer Ordnungsstrafe von 500.000 DM zu bedrohen oder den Redakteur eines Radios zu entlassen, dessen einziger Fehler es war, bei einem Radiointerview Hochhuth nicht ins Wort zu fallen als dieser sagte, daß Filbinger den Soldaten Gröger umgebracht hatte. Filbinger, der sich immer an seinem eigenen Leitsatz hielt "Was früher Recht war, kann heute kein Unrecht sein", war durch die zahlreichen Enthüllungen als Ministerpräsident nicht mehr haltbar, doch er fand schnell neue Betätigungsfelder.
Hans Filbinger - Die Geschichte geht weiter
Im Oktober 1979 wird das Studienzentrum Weikersheim (SZW) auf Initiative von Hans Filbinger gegründet. Das Studienzentrum ist von seiner Ausrichtung als Scharnier zwischen Konservativismus und Neofaschismus zu begreifen. Neben der Carl-Friedrich von Siemens-Stiftung und dem Thuleseminar ist es als wichtigstes Ideenzentrum der sogenannten Neuen Rechten anzusehen.
Nach der Wahlschlappe der NPD 1969, die knapp am Einzug in den Bundestag scheiterte, gab es innerhalb der Rechten eine Umorientierung in der Ausrichtung ihrer Politik. So war ab Mitte/Ende der 70er Jahre nicht mehr der Aufbau einer erfolgreichen rechten Wahlpartei im Mittelpunkt des Interesses, sondern es sollte versucht werden die Diskussionen innerhalb der Gesellschaft mit rechten Positionen zu besetzen. Zu diesem Zweck wurde eine Vielzahl von Zeitungen gegründet (Junge Freiheit, Elemente, Criticon, usw.) und besagte Ideenzentren. Dort werden über Seminare und Veranstaltungen die eigentlich alten rechten Ideen an Multiplikatoren weitervermittelt, die von der Mitte der Gesellschaft aufgenommenwerden und weiter in das politische Leben getragen werden. So bedarf es keiner rechten Wahlpartei mehr, um rechte Positionen zu vertreten.
Nachvollziehen lässt sich diese Entwicklung hervorragend in der Frage des Asylrechts, die in der Quasi-Abschaffung des Rechts auf Asyl in der BRD gipfelt.
Doch zurück zum Studienzentrum Weikersheim: Jede Menge Prominenz findet sich auf den Rednerlisten der Veranstaltungen des Zentrums, von Schäuble bis Teufel waren die meisten schon zugegen. Wichtig ist die Mischung, denn auch die Chefs der Rechten sind dort zu finden: Rolf Schlierer (Bundesvorsitzender der Republikaner) - er saß auch im Präsidium des SZW, Klaus Hornung (Hochschuldozent und rechter Ideologe), Günther Rohrmooser (Autor in Criticon, Nation + Europa, MUT etc. und Vordenker der intellektuellen Rechten), Wolfgang Strauss (NPD- Mitglied, Redaktion Nation und Europa), Hans-Ulrich Kopp (Ex- Bundesvorstandsprecher der Republikaner, führendes Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Danubia), Hans Dietrich Sander (Herausgeber der Staatsbriefe).
Die selbstgestellte Aufgabe des SZW lautet, der "politisch, geistigen und moralischen Knochenerweichung" innerhalb der Unionsparteien den Garaus zumachen und den vermeintlich linken Mainstream in der bundesdeutschen Gesellschaft ebenso zu durchbrechen wie die angeblich herrschende Tabuisierung des Konservatismus. Die Referenten und Funktionsträger des SZW haben einen großen gemeinsamen Nenner: Agressivität gegen innere wie äussere Feinde. Erstere seien schon automatisch, welche nicht durch Abstammung zum deutschen Volk gehören, und schon gleich alle, welche sich solcherei Rassenlehre und der damit vebundenen Opferlammmentalität für das vermeintliche "Volkswohl" verschließen, welche die "göttliche" oder gar "natürliche" (Unter-) Ordnung und somit Zementierung der Ungleichheit in Frage stellen.
Da erstaunt es nicht, das die Industrie als Geldgeber auftritt, denn sie profitieren letztendlich vom Prinzip der Ungleichheit. Daimler-Benz griff zum Beispiel Anfang der 80er Jahre dem SZW mit jährlich 50.000 DM unter die Arme. Die Waffenschmiede Kraus Maffei tritt als Mitveranstalter einzelner Veranstaltungen (und somit Finanzier) auf. Der schwäbische Pharmachef Merckle sitzt mit im Kuratotium und lässt bei 5 Mrd. DM Firmenbesitz ebenso die einen oder anderen Peanuts liegen. Ergänzt werden diese Zahlungen noch durch öffentliche Gelder: Zwischen 1988-1993 flossen aus Bundesmittel 400.000 DM in die Kassen des SZW für Kongresse und Tagungen.
In den Veranstaltungen dreht sich die Diskussion immer wieder um Deutschland und seine Geschichte. Dabei wird ein weiteres Merkmal der Neuen Rechten deutlich: der Holocaust wird zwar nicht geleugnet, doch durch die Darstellung anderer Kriegsverbrechen relativiert. Dadurch soll die deutsche Geschichte reingewaschen werden, damit Platz für ein neues Nationalverständnis geschaffen wird. In solch einem Geschichtsverständnis findet sich der Ex-Nazirichter Hans Filbinger natürlich selbst wieder. Ist er doch tatkräftig an der Geschichtsklitterung beteiligt. So beschreibt er in "Die geschmähte Generation", die Verteidigungsschrift zu den Vorwürfen der 70er Jahren:
"Sechs Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus. Die Leiden und Verluste und die unsäglichen Anstrengungen des Krieges wurden von meiner Generation ertragen. Noch nie wurde ein Krieg mit solchem Einsatz an Vernichtungsmitteln geführt. Noch nie waren die Opfer in Hekatomben von Menschen, Soldaten wie Zivilisten, Frauen, Greisen, Kinder so groß wie in diesem Kriege. Dazu kamen die gewaltigen Opfer von Flucht und Vertreibung, die der in der Geschichte der Menschheit bisher unerhörte Exodus von nahezu 15 Millionen Deutscher aus dem Osten zur Folge hatte". (S.20)
Das der Krieg nicht ausgebrochen ist, sondern Deutschland Polen überfallen hat, weiß Filbinger schon. Doch durch die Darstellung der deutschen Leiden, soll die Schuld insgesamt relativiert werden (über die Vernichtung der Juden verliert er kein Wort) und somit die eigene Verquickung mit den Verbrechen nicht sehen zu müssen, unschuldig zu sein, Opfer zu sein, geschmäht zu sein.
Ob Filbinger 1945 überzeugter Nazi war oder nicht, spielt heute nicht mehr die zentrale Rolle. Sein Verhältnis dazu ist ausschlaggebend und die Politik die er heute betreibt. Beides hängt zusammen, der Mann mit dem pathologisch guten Gewissen beackert das Feld der Geschichte, mit riesigen Gedächtnislücken und den beschriebenen Verfälschungen. Dadurch macht er für die Rechte den Weg frei für einen neuen Nationalismus und Rassismus, die zwar noch nichts mit Natinalsozialismus zu tun haben, in ihrer Ausrichtung aber extrem menschenfeindlich sind und zu Toten auf den Straßen und an den Grenzen führt. Filbinger steht für die Entwicklung nach rechts, er hat sie lanciert, als Ehrenvorsitzender der CDU springt er immer noch bei jedem Anlass durch die Gegend. So durfte die graue Emminenz bei der rassistischen Kampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Anfang 1999 nicht fehlen. Er ist ein Funktionär (er ist zusätzlich noch Landesvositzender in der rechten Paneuropa-Union) und kein Mitläufer. Also bestimmt keiner, der nicht weiss, was er tut. Und deshalb bestimmt keiner, dem jemals Unrecht getan wurde, sondern immer einer, der das Unrecht an anderen verteidigt und organisiert.
Lebenslauf Hans Filbinger
– 1913 in Mannheim geboren
Studium Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft in München und Freiburg
– 1939 Dr. jur
– 1940 wird er zur Marine eingezogen
– ab 1943 als Staatsanwalt und Richter bei verschieden Marinegerichten in Norwegen, wo er Todesurteile forderte und aussprach
– bis 1946 von britischen Militärbehörden als Richter eingesetzt, wo er weiterehin im Sinne der NS-Justiz, jetzt Kriegsgefangene verurteilt
– ab Juli 1946 wissenschaftliche Tätigkeit an der Uni und als Anwalt in Freiburg
– 1953 Stadtrat für die CDU
– ab 1958 ehrenamtlicher Staatsrat der Landesregierung Stuttgart
– 1960 Landesinnenminister
– bis 1980 Landtagsabgeordneter für CDU, Kreis Freiburg
– 1966 Ministerpräsident, z.T. absolute Mehrheit 57%
– 1978 Rücktritt auf Grund NS- Vergangenheit
– 1979 Gründung des neurechten Ideologiezentrums Weikersheim, Vorsitzender bis 1998
– Ehrenvorsitzender der CDU
– Landesvorsitzender der rechten Paneuropa-Union
Hans Filbinger wohnt in der Riedbergstraße 29 im Stadtteil Günterstal in Freiburg.
Literaturtipp
Rolf Surmann "Filbinger, NS-Militärjustiz und deutsche Kontinuitäten". In: "Der lange Schatten der NS-Diktatur", UNRAST-Verlag, Münster 1999.
Nachwort
Dieser Text bildete die Grundlage für die Veranstaltung "Zur Geschichte des Ex-Marinerichters Hans Filbinger", veranstaltet am 18. Januar 2000 von der Antifa Freiburg.
Auch im Jahre 2004 haben Politiker wie hier Otto Neideck, CDU-Finanzdezernent und erster Bürgermeister der Stadt Freiburg, kein Problem damit, sich mit dem Altnazi Filbinger sehen zu lassen.
Aktuelle Linkliste
14.09.1995 | AQuadrat | Studienzentrum Weikersheim |
01.10.1995 | Antifaschistische NRW-Zeitung | Studienzentrum Weikersheim |
29.09.2001 | IDGR | Studienzentrum Weikersheim |
14.12.2001 | antifaschistische nachrichten | Studienzentrum Weikersheim |
24.07.2003 | de.indymedia.org | Freiburg: Grüner OB gibt Nazirichter Ehrenempfang |
30.07.2003 | Frankfurter Rundschau | Der 90. Geburtstag oder - Sekt für den Marinerichter |
02.08.2003 | de.indymedia.org | Freiburg: Unterstützen Grüne Nazi-Richter? |
10.09.2003 | Jungle World | Ein pathologisch gutes Gewissen |
12.09.2003 | www.linkeseite.de | Ludwigsburg: Proteste gegen Filbinger Ehrung |
16.09.2003 | de.indymedia.org | Freiburg: Aktion zu ehem. NS-Marinerichter Filbinger |
16.09.2003 | de.indymedia.org | Proteste gegen Filbinger in Ludwigsburg |
18.09.2003 | de.indymedia.org | Ludwigsburg: Bilder von Protesten gegen Filbinger |
19.09.2003 | de.indymedia.org | Freiburg: Zwei Vorträge zu Filbinger |
23.09.2003 | de.indymedia.org | Freiburg: Unbelehrbar. |
09.10.2003 | de.indymedia.org | Filbinger am SA in Karlsruhe |
11.10.2003 | VVN-BdA | Karlsruhe: Filbinger-Reader |
05.05.2004 | de.indymedia.org | STUTTGART |
08.05.2004 | de.indymedia.org | Alt-NAZI Filbinger, die SPD und der USUS |
20.05.2004 | de.indymedia.org | Bericht zur Lage der NATION |
20.05.2004 | de.indymedia.org | Hans Filbinger + eine mächtige Lobbygruppe |
14.07.2004 | SPIEGEL ONLINE | Berlin: Der Filbinger-freie Tag der PDS-Abgeordneten Lötzsch |